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Archiv-Artikel

Ende eines Traumes

Heute fällt voraussichtlich das Urteil gegen Florian P., der im Januar einen Taxifahrer beraubte und anschoss. Das Opfer sitzt seither im Rollstuhl. Er ist nicht allein körperlich gelähmt

VON JAN ZIER

Die Erinnerung an jenen Januarmorgen ist schwammig bei Ehsan Nejadi. Als er nach mehreren Tagen aus dem Koma erwacht, da beschleicht ihn erstmals der Gedanke, dass er nie mehr würde Taxi fahren, nie mehr mit seinem Sohn würde Fußball spielen können. Ehsan Nejadi sitzt seit diesem Tag im Rollstuhl. Der 37-Jährige ist vom dritten Lendenwirbel an querschnittsgelähmt, große Teile des Darms mussten in einer Notoperation entfernt werden. „Es ist, als ob er immer noch träumt“, sagt seine Frau Firuzeh.

Keine zwei Monate war es her, dass Ehsan Nejadi überhaupt einen Taxischein besaß, er wollte sich selbständig machen, ein eigenes Taxi kaufen, sobald er sich nur gut genug auskennen würde in der Branche. Er stand allein am Roland-Center in Huchting, es war der 10. Januar, morgens, 2.30 Uhr. Dann kommt Florian P., der jetzt wegen Raubes und versuchten Totschlags vor Gericht steht, mit einer Pistole in der Hand. Kurz zuvor hatte der 24-Jährige schon zwei TaxifahrerInnen überfallen, aus Geldmangel, wie er sagt, und weil er nicht mehr weiter wusste im Leben.

Gut 60 Euro händigt Nejadi ihm aus. Was dann passierte, daran kann er sich so recht nicht mehr erinnern. Jedenfalls ist er ausgestiegen, warum auch immer, die Angaben sind widersprüchlich. Sicher ist, dass es zum Handgemenge kam, als Florian P. seine Waffe zieht und Ehsan Nejadi ziellos in den Bauch schießt. Der Projektil trifft ihn ins Rückenmark.

Nein, er habe nicht den Helden spielen wollen, sagt Nejadi, und dass es am Ende ja auch gar nicht mehr darauf ankomme, wie es passierte. Nur was. „Vielleicht war es mein Schicksal, dass mich so ein Verrückter getroffen hat.“ Er spricht wenig, und wenn, mit leiser Stimme, mit Pausen, während er in sich zusammen gesunken im Rollstuhl sitzt. Immer wieder muss seine Frau ihm assistieren, immer wieder muss das Gespräch unterbrochen werden. Dass seine Blase gelähmt ist, trifft ihn noch härter als die Querschnittslähmung.

Früher, da war er immer „sehr aktiv“, sagt seine Frau, da waren sie zusammen Fußball spielen, Schwimmen und Rad fahren, erzählt sein Sohn. Jetzt spielen sie manchmal noch Karten. „Ich bin traurig“, sagt der Achtjährige. Ehsan Nejadi sitzt meistens zu Hause, seine Frau pflegt ihn, die Familie lebt von Verletzengeld.

Was Florian P. vor Gericht zu sagen hatte, dass mochte Nejadi sich gar nicht erst anhören, auch nicht als Nebenkläger, und dessen Entschuldigung – nein: „Ich kann das nicht akzeptieren.“ Ihr sei Florian P. vor Gericht „gar nicht wie ein Mensch“ erschienen, sagt Firuzeh Nejadi. Nicht wegen seiner Taten. Sondern weil in seinen Augen „keine Reue“ zu sehen sei, er überhaupt keine Gefühle zeige. P. hat es wohl auch nicht gelernt. „Er hat meine Familie zerstört“, sagt die 35-Jährige. Und dass sie hofft, dass er sich noch ändert, „vernünftig“ wird, nicht schlimmere Sachen lerne, wenn er ins Gefängnis komme.

Frühestens in zwei Jahren wird Ehsan Nejadi wieder arbeiten gehen können, haben ihm die Ärzte gesagt. An diesen Gedanken versucht er sich jetzt zu gewöhnen, irgendwie. Früher war er Koch, Taxi fuhr er nur nebenbei. „Im Kopf hat er noch gar nicht realisiert, was passiert ist“, sagt seine Frau.

Zum Prozess gegen Florian P. ist die ganze iranische Familie der Nejadis zusammen gekommen. Fast die Ganze: Seine Mutter starb an einem Herzstillstand, keine zwei Wochen, nachdem sie erfuhr, was mit ihrem Jüngsten passiert war. „Sie hat das nicht verkraftet“, sagt Firuzeh Nejadi. Früher haben Mutter und Sohn fast täglich miteinander telefoniert. In diesem Sommer wollte er sie im Iran besuchen, erstmals wieder nach zwei Jahren.

Nein, sagt Ehsan Nejadi, so etwas wie „Gerechtigkeit“ könne es für ihn in diesem Fall ohnehin nicht geben. Auch keine Wiedergutmachung. Wie das Urteil über Florian P. ausfällt, dass die Richter heute aller Voraussicht nach fällen werden – „mir ist das egal“.