: Gefangen im Einzelhandel
Dass es wahrscheinlich nicht ganz rechtmäßig ist, heißt noch lange nicht, dass der Bau des neuen Einkaufszentrums in Kattenturm gestoppt würde. Die Nachbarn hoffen indes auf teilweisen Abriss
VON JAN ZIER
Das Haus Nummer 138 an der Kattenturmer Heerstraße ist frisch gestrichen, der Vorgarten gepflegt, und die Fensterputzer waren auch gerade erst gestern da. Keine Frage: Familie Richter will hier nicht ausziehen. „Combi vertreibt uns nicht“, haben sie auf ein großes Transparent gemalt, das jetzt über der Eingangstüre prangt.
Combi, das werde „einer der modernsten Verbrauchermärkte Europas“, verspricht das Baustellenschild. Und er entsteht gleich nebenan, auf den beiden Nachbargrundstücken links wie rechts des Richter’schen Hauses. Zwar hätte er in dieser Form dort womöglich nie gebaut werden dürfen, ist aber schon halb fertig. Anfang kommenden Jahres soll Eröffnung sein.
Juristisch betrachtet entsteht hier „großflächiger Einzelhandel“ mit einer Fläche von mehr als 5.000 Quadratmetern. Und für den hätte die Stadt ein „Sondergebiet“ ausweisen müssen. Hat sie aber nicht. Regulär zulässig sind hier nur 1.200 Quadratmeter Einzelhandel. Das hat auch das Verwaltungsgericht so gesehen. Im Eilverfahren attestierten sie dem städtischen Bebauungsplan, an „Widersprüchlichkeiten“ zu leiden. Doch aus Sicht der Baubehörde sind das nur „Andeutungen“. Und als solche, rein rechtlich betrachtet, „per se irrelevant“. Die Rechte des Nachbarn seien nicht verletzt, sagt das Ressort.
Familie Richter sieht das anders: „Es hätte einen Baustopp geben müssen.“ Eilends haben sie Klage eingereicht, Anfang September wird der Fall in zweiter Instanz vor dem Oberverwaltungsgericht verhandelt. Die Kölner Grundstücksgesellschaft, die das Einkaufszentrum errichtet, „baut auf eigenes Risiko“, sagt Nicolai Rosin, der Rechtsanwalt der Richters. Sollte er vor Gericht siegen, könnte es sein, dass der neue Markt „zurückgebaut“ werden muss.
Schon wurden den Richters von Seiten der Bauherren rund 15.000 Euro angeboten, zuzüglich Übernahme der Prozesskosten. Rosin sieht darin noch kein Schuldeingeständnis, sondern lediglich den Versuch einer „pragmatischen Lösung“: Mit dem Geld hätten Richters einen neuen, höheren Zaun um ihr Grundstück ziehen sollen. Sie haben das abgelehnt. „Mit geht es nicht ums Geld“, sagt Bernd Richter. Er schätzt den Wertverlust seiner Immobilie auf gut 100.000 Euro.
„Den ideellen Verlust an Lebensqualität kann mir eh keiner bezahlen“, sagt Richter. Die Rückwand des Einkaufszentrums wird mehr als acht Meter hoch und sie reicht bis auf vier Meter an die Grundstücksgrenze heran. „Das ist hier wie im Gefängnis“, sagt Bernd Richter. Viel Sonnenlicht bleibt da nicht mehr. Die alten Tannen, die dort noch stehen, müssen wahrscheinlich weichen. Sie sind ohnehin krank.
Auf der anderen Seite des Grundstücks entsteht gerade die neue Zufahrt für das Einkaufszentrum. Und auch das ist nicht zulässig, sagt Richter: „Es ist nicht zulässig, ein Gewerbegebiet durch ein Mischgebiet zu erschließen.“ Denn in letzterem sind nur solche Gewerbebetriebe zugelassen, die das Wohnen „nicht wesentlich stören“. Rechtsanwalt Rosin pocht denn auch auf einen „Gebietserhaltungsanspruch“, der „keine anderweitige Nutzung“ zulasse.
Zwar stand an Ort und Stelle schon früher ein Einkaufszentrum. Doch der alte Famila-Markt, der ebenfalls zur Bünting-Gruppe aus Leer gehört, war deutlich kleiner. Im März wurde er abgerissen. Auch bei Famila fuhr der Zulieferverkehr schon hinten um das Haus herum. Das war vielleicht unzulässig. Doch in den Siebziger Jahren, als der Weg entstand, störte das so recht niemanden. Inzwischen ist daraus Gewohnheitsrecht geworden.
Bernd Richter fürchtet, am Ende zwar Recht zu bekommen. Und doch mit „Combi“ leben zu müssen – weil es irgendwann „unverhältnismäßig“ sein wird, den Neubau wieder einzureißen. Mehrfach musste er sich schon anhören: „Ziehen Sie doch einfach aus.“ Doch das kommt nicht in Frage: „Das Haus kauft uns doch keiner mehr ab.“