: Schmutziger Sieg
Die Vorher-Nachher-Formate aus dem Fernsehen haben nun auch die Sportvereine erreicht. Der FC St. Pauli sucht die verfallenste Umkleidekabine, und die wird dann für 20.000 Euro renoviert. Ein Verein aus Elmshorn hat gute Chancen zu gewinnen – und das nicht, weil die Kabine herunter gekommen ist
AUS ELMSHORN ILKA KREUTZTRÄGER
Die Wand, aus der die Duschköpfe und Hähne ragen, strotzt vor schwarz-grünem Schimmel. In der hinteren Ecke des fensterlosen Raums verschwinden offen liegende Leitungen in einem finsteren Loch in der Wand, der Putz blättert ab. Die Tür zur Umkleidekabine hängt schief in den Angeln und schließt nur mit einem energischen Knall. Die einzige Toilette ist verstopft, Kakerlaken wuseln über den Boden. So könnte sie aussehen, die baufälligste Umkleidekabine Deutschlands.
Seit Mai sucht der FC. St. Pauli deutschlandweit nach dem Sportverein mit der schrecklichsten Umkleidekabine. Zu gewinnen gibt es 20.000 Euro für die Renovierung. 49 Vereine haben sich um den Titel beworben. Jetzt stehen die drei Finalisten fest – 50.000 User haben im Internet für sie abgestimmt. Einer der drei ist der SV Lieht aus Elmshorn. Die Umkleidekabine der Liehter Fußballer und Fußballerinnen sieht jedoch aus, wie unzählige Umkleiden in der deutschen Provinz eben aussehen: funktional, abgenutzt und in jeder Ecke der Charme der leeren Vereinskassen. Die vielen Stimmen haben die Elmshorner mit ihrer auffälligen Präsentation im Internet gesammelt und mit ihren 1.500 Vereinsmitgliedern.
Das 1976 gebaute Klubheim liegt zwischen zwei kleinen Waldstücken an einem Schotterparkplatz. Der einstöckige Flachdachbau ist mit Dachpappe gedeckt und links neben dem Eingang hängt das rot-weiße Vereinswappen in Übergröße. Durch einen schummrigen Gang geht es zur Umkleide. Der Geruch nach Pommesfett weht aus der vereinseigenen Gaststätte und erinnert mehr an eine Badeanstalt im Hochsommer als an einen Sportverein. Rechts geht es in die Kabine: zwei schmale, lang gestreckte Räume mit dunkelbraun gestrichenen Wänden, Plastiktüren im Grün der siebziger Jahre. Lange Reihen mit Haken und schmalen Bänken grenzen an den Duschraum. In ihrer siebziger Jahre Hässlichkeit ist die Kabine schon wieder schick – ein museales Relikt ihrer Zeit.
Die acht Duschen teilen sich während der Saison an jedem Wochenende 22 Fußballmannschaften. „Ich gehe da nur mit Badelatschen rein, sonst ist es viel zu ekelig“, sagt Gunnar Grün. Der 26-Jährige spielt in der dritten Herrenmannschaft und findet die abgewetzten Fliesen in roter und gelber Marmor-Optik besonders schlimm. „Neue würden mal ganz gut tun“, findet er. Der verrostete Heizkörper und die getäfelte Holzdecke in der Nasszelle wurden noch nie ausgetauscht. Maike Sommer, die 2. Vorsitzende des SV Lieht, erzählt, dass nach dem Anbau eines Wintergartens an die Gaststätte vor einigen Jahren und der Sanierung der Heizungsanlage einfach kein Geld für weitere Sanierungen da sei.
Maike Sommer hat einen praktischen Kurzhaarschnitt mit herausgewachsenen blonden Strähnen und steht in hellblauen dreiviertel Jeans und ausgetretenen Latschen rauchend auf der Terrasse des Vereinsheims. Jeder grüßt die 47-Jährige hier freundlich. Seit etwa drei Jahren ist sie im Vorstand des Vereins und es war ihr Sohn Michael, der sie zu der Bewerbung um die renovierungsbedürftigste Kabine bewegt hat. „Die Gastmannschaften ekeln sich, wenn sie hier duschen“, sagt er. Mit diesem Slogan haben sich die Liehter, eigentlich Sohn und Mutter Sommer, beworben.
Und das wiederholt Maike Sommer, während sie die Makel der Umkleide abschreitet: das Loch im Putz, den verrosteten Heizkörper, die sich leicht wellende Holzdecke in der Dusche und der Behelfslichtschalter in der Toilette. Von der Deckenlampe baumelt ein Kabel mit Kippschalter: „Licht aus!“, steht mit rotem Edding an der Wand hinter dem Schalter. „Wenn wir gewinnen, kriegen wir nicht die 20.000 Euro, sondern St. Pauli schickt Leute her, à la ‚Einsatz in vier Wänden‘“, sagt Sommer. „Aber Tine Wittler wird wohl nicht kommen“, ergänzt sie und schmunzelt über ihren Witz. Pimp my Umkleidekabine eben.
Am Dienstag wird sich entscheiden, ob die Elmshorner eine neue Umkleide samt Lampe mit Wandschalter bekommen, oder ob die Fußballer weiter im siebziger Jahre Ambiente duschen müssen. Sollten sie gewinnen, dann wiegt ihre aussagekräftige Bewerbung mehr als die wahre Not anderer Bewerber.
Der Mitbewerber TV Germania Wendershausen hat weder Dusche noch Toilette im Vereinsheim, aber die Hessen haben wie viele andere eine lieblose Bewerbung ins Internet gestellt. Zwei Fotos und die Information, dass die Waschräume fehlen, mehr eben nicht. Die Liether haben sich mit einem Video aus der Umkleide beworben und gereimt: „Ob Krabbler, Schimmel oder abfallende Tapeten, hier ist fast alles vertreten.“ Das ist zwar haarscharf an der Wahrheit vorbei gereimt, denn es gibt weder eine Tapete, noch Krabbler oder (sichtbaren) Schimmel, aber eine gute Marketing-Strategie ist das allemal.
Das Training der Fußballer hat nach der Sommerpause gerade wieder begonnen und die Umkleide füllt sich. „Ihr könntet auch das Ballhäuschen mal abfotografieren“, sagt Kim Schmidt, den der Trainer zum Bälle aufpumpen geschickt hat. „Das sieht nämlich genau so scheiße aus.“ Das Ballhäuschen ist ein kleiner, viereckiger Holzverschlag auf der Rückseite der Umkleide. Drinnen ist es eng, in zwei alten Schränken und auf dem Boden ein Durcheinander von Netzen, Pumpen und Hütchen.
Hygienisch findet der 23-Jährige die Umkleide nicht, sondern alt und dreckig und außerdem gebe es viel zu wenig Platz. „Und die Bänke!“ Da sei nach einem Sieg mal einer drauf gesprungen und dann musste gleich eine Latte ausgetauscht werden. „Ich wünsche mir Bänke, die auch mal einen Sieg aushalten“, lacht er und schmeißt die laut brummende elektrische Ballpumpe wieder an.
Im vergangenen Jahr hat sich das Umkleidekabinen-Problem weiter zugespitzt, als im März ein Vater anrief, dessen zwei Töchter Fußball spielen wollten. „Also gründeten wir die erste Mädchenmannschaft“, sagt Maike Sommer. Und die Mädchen verstünden hier was von Werbung und Vermarktung und rührten ordentlich die Werbetrommel, sagt Sommer. Heute gibt es schon sechs Frauenmannschaften.
Die Fußballer und Fußballerinnen müssen sich in eine Kabine, ein Klo, eine Dusche teilen. Für die Männer kein Problem, doch die Frauen und Mädchen stellen sich da schon mehr an. Noch schlimmer ist laut Sommer für die Mädchen aber, dass die Kabine so alt und schmuddelig sei: „Sie sind ein bisschen etepetete, wie Mädchen eben so sind.“
Morgen wird sich entscheiden, wer die schlimmste Kabine oder das beste Marketing hat. Die Gewinner und Verlierer werden angerufen. Und was macht Maike Sommer an diesem Tag? „Den ganzen Tag mit dem Handy herumlaufen und dann feiern“, sagt sie. Oder weiter auf moderne, sauberere Zeiten warten und weiter auf maroden Bänken feiern.