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Archiv-Artikel

No Country for Dead Men

„The Three Burials of Melquiades Estrada“ von und mit Tommy Lee Jones bekommt eine zweite Chance

Der amerikanische Filmkritiker Roger Ebert veranstaltet seit einigen Jahren in Chicago ein `“Overlooked Filmfestival“, auf dem er Produktionen zeigt, die seiner Meinung nach unverdient in den Kinos floppten. Dass dieses oft überhaupt nichts mit ihrer Qualität zu tun hat, beweisen Klassiker wie „Metropolis“, „Citizen Kane“, „To Be or Not to Be“ oder „Blade Runner“ , die alle zuerst an den Kassen durchfielen. Zum Teil werden Filme von den Verleihern falsch eingesetzt, manchmal sind sie ihrer Zeit voraus oder das Publikum übersieht sie einfach im Schatten der so laut beworbenen Blockbuster.

Manchmal sind sie auch schwer zu vermarkten und müssten mit einer Geduld von den Kinobetreibern hochgepäppelt werden, die diese schon lange nicht mehr haben. Bei uns ist das Sommerloch der Anlass für ein inoffizielles „Festival der übersehenden Filme“ , denn in Open Air-Vorstellungen oder Programmen, die auf Sparflamme laufen, bekommen einige von diesen so genannten „Schläfern“ eine zweite Chance. So lief etwa „The Three Burials of Melquiades Estrada“ Anfang des Jahres schon ein paar Wochen lang mit mäßigem Erfolg im City-Filmtheater, und jetzt wird er noch einmal zwei Wochen lang im Kino 46 gezeigt.

Ebenjener Roger Ebert schrieb, hier würde eine Geschichte erzählt, „die John Huston oder Sam Packinpah wohl gerne verfilmt hätten.“ Und auch Tommy Lee Jones hätte gut in die Filme der beiden gepasst, denn seit er 1993 in „The Fugitive“ so beindruckend den Polizisten spielte, der stur und unbeirrbar Dr. Richard Kimble jagte, hat er sich zu einem stoischen „last man standing“ entwickelt, der durch harte Erfahrungen nicht verhärtete, und soviel natürliche Autorität besitzt, dass er keinerlei Machoattitüden nötig hat. Selbst das zugleich personifizierte und mystifizierte Böse in „No Country for Old Men“ konnte ihn als Einzigen nicht umbringen. Wie bewusst und geschickt er mit seiner Leinwandpräsenz arbeitet, zeigt er hier, wo er sich als Regisseur selber inszenieren muss.

Jones spielt Pete Perkins, einen texanischen Farmer, der sich bei der Arbeit auf der Weide mit dem Mexikaner Melquiades Estrada anfreundet, der bald danach vor seiner armseligen Hütte erschossen wird. Bald wird klar, dass ein übereifriger Grenzpolizist dafür verantwortlich ist. Doch der Sheriff des kleinen gottverlassenen Kaffs hat keinerlei Interesse daran, ihn anzuklagen, und so beschließt Pete Perkins, auf eigene Faust Gerechtigkeit walten zu lassen. Dies bedeutet nun aber nicht, dass er zu dem um sich schießenden Rächer wird, den wir aus zahllosen Actionfilmen kennen. Nachdem er den Täter entführt , und mit ihm sowie der Leiche seines Opfers nach Mexiko flieht, um diesen dort, wie er es ihm versprochen hat, in der Heimaterde zu beerdigen, wird er zwar von dem texanischen Polizeiapparat gejagt, aber Perkins weiß genau zwischen dem Recht und dem, was rechtens ist, abzuwägen.

Gut deutlich wird dies etwa daran, wie hier Waffen eingesetzt werden. Die Schüsse, die die Tragödie auslösten, wurden dumm und wie blind ausgelöst, aber gleich zweimal hat später jemand einen von ihm Verfolgten genau im Visier, und setzt das Gewehr dann wieder ab. Die Entscheidung davor ist hier wichtiger als die Schießerei, und so ist dies zwar auch ein Spätwestern, bei dem Abenteuer in grandiose Landschaften bestanden werden, aber Tommy Lee Jones und der Drehbuchautor Guillermo Arriaga (“21 Gramm“) gehen auch unerwartet tief. Der Film fängt mit einer ganz eigenen poetischen Intensität die Tristesse des texanischen Landes ein.

Wilfried Hippen