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Archiv-Artikel

Die Doppel-Spezialistin

Judith Hartmann ist die erste gehörlose Anwältin Hamburgs. Im Studium war sie Einzelkämpferin, nun arbeitet sie in einer Kanzlei, die auf Behindertenrecht spezialisiert ist – und wünscht sich noch mehr Selbstverständlichkeit in der Integration

von Daniel Kummetz

Ein greller Lichtstrahl zuckt durch den Raum, fast so hell wie ein Foto-Blitz. Er kommt aus einem kleinen Gerät von Judith Hartmanns Schreibtisch. Zwei, drei Mal. „Das ist meine Klingel“, sagt die 37-Jährige, als sie den Raum wieder betreten hat. Sie hat nur demonstriert wie das Gerät funktioniert – für die neugierigen Hörenden. Ein akustisches Signal würde an ihr vorüberziehen, denn sie ist gehörlos. Judith Hartmann ist die erste gehörlose Anwältin Hamburgs.

Als sie Anfang des Jahres vereidigt wurde, gab es ein reges Medienecho. Häufigste Frage: Wie funktioniert es, als Gehörlose in einem Beruf zu arbeiten, der bei Laien vor allem als mündlicher gilt? Wie bei der Klingel gibt es Wege, das Hörbare zu übersetzen: In Schrift- oder in Gebärdensprache. „In erster Linie arbeitet ich als Anwältin mit der schriftlichen Sprache. Es gehen viele Schriftsätze hin und her“, sagt Judith Hartmann dazu.

Sie ist auf Sozialrecht und Sozialversicherungsrecht spezialisiert: „In diesem Bereich sind auch die mündlichen Verhandlungen vor allem Zusammenfassungen der Schriftsätze.“ Außerdem begleiten sie bei solchen Verhandlungen Gebärdensprachendolmetscher – wie bei allen Dingen, die mündlich geschehen müssen. Während sie das erklärt, sitzt Hartmann in einem Besprechungszimmer, an einem kleinen Tischchen. Wenn sie selbst spricht, schaut sie ihr Gegenüber an, bei Fragen lauschen ihre Augen der Dolmetscherin. Sie lächelt bei manchen Fragen, ist eher zurückhaltend höflich denn extrovertiert.

Da Hartmann die erste gehörlose Anwältin ist, gibt es noch einige bürokratische und finanzielle Fragen zu klären. Wer übernimmt die Kosten für die Einsätze von Gebärdensprachdolmetschern bei Gerichtsterminen? Das prüft die Hamburger Justizbehörde noch. Sie bekommt Mittel vom Integrationsamt, doch die sind begrenzt. „Ich habe ein Budget für die Kommunikation mit hörenden Mandanten und Kanzleibesprechungen.“ Warum ist sie Anwältin geworden? „Ich möchte mich für Menschen einsetzen“, sagt Hartmann.

Sie entschied sich während ihrer Ausbildung zur Vermessungstechnikerin für diesen Weg, machte Abitur auf dem zweiten Bildungsweg und schrieb sich schließlich an der Hamburger Uni ein.

An der Universität musste sie zunächst viel organisieren. „Einen Dolmetscher habe ich nur für wenige Vorlesungen organisieren können, das meiste habe ich mir über Skripte und Bücher erarbeitet“, sagt Hartmann. „Richtig intensive Kontakte zu Kommilitonen hat es deshalb nicht gegeben – ich war Einzelkämpferin.“ Erst in der Examensvorbereitung habe sie sich mit einem Kommilitonen regelmäßig zum Lernen getroffen – und dieser Kontakt, so sagt sie, sei durch Zufall zustande gekommen. „Das war nicht optimal, aber im Vergleich zu den Studienbedingungen in anderen Städten war das gut.“

Wenn sie an ihren Fällen arbeitet, sitzt die Anwältin in ihrem Büro der Kanzlei „Menschen und Rechte“ in einem modernen Gebäude im Hamburger Stadtteil Ottensen. „Es war nicht allzu einfach, eine Kanzlei zu finden, aber das passt hier gut. Die Kanzlei ist auf Behindertenrecht spezialisiert“, sagt Hartmann. So ist sie doppelte Spezialistin für die Rechte und die Integration von Behinderten: „Es hat sich da einiges geändert“, sagt Hartmann. „Wir gehen die ersten Schritte, aber wir sind noch nicht da, wo wir sein könnten.“

Die Regelungen reichten nicht, in der praktischen Anwendung gebe es vieles, was immer noch nicht abgedeckt wird. Ein Beispiel? „Wer übernimmt bei gehörlosen Eltern zum Beispiel die Kosten für den Dolmetschereinsatz auf Elternabenden?“ Ziel sei für sie eine Integration wie in den USA oder in den skandinavischen Ländern, dort würde viel selbstverständlicher an Menschen mit Handicap gedacht – zum Beispiel beim barrieregerechten Bauen. Das ist in Deutschland noch lange nicht der Fall: „Die sind uns immer noch Meilen voraus.“

www.menschenundrechte.de