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Archiv-Artikel

Peace, Love, Happiness, Amen

In ihrer „68er-Nachlese“ erinnert die St. Petri-Kirche in Hamburg an Flower-Power und Vietnam-Protest. Die Hippie-Huldigung unterm Kreuz zeigt, was an Woodstock Religion war. Den kritischen Dialog über die 68er bleibt sie schuldig

VON MATHIAS BECKER

Utopisten waren sie, die keinen Nagel in die Wand hauen konnten. Deshalb wollten die Arbeiter auch nichts von ihnen wissen. Erst Recht nicht, als sie dann auch noch die RAF gebaren. Und heute können wir uns bei ihnen für die „Spaßgesellschaft“ bedanken: 40 Jahre nach 68 müssen die Revolutionäre von damals viel Prügel einstecken. 68er-Bashing allenthalben.

Die St.Petri-Kirche in der Hamburger Innenstadt stemmt sich gegen diesen Trend. An Woodstock will man erinnern, den Geist der Hippies aufleben lassen. Und die Frage stellen, was wir heute von 68 lernen können. „Kritisch, aber wohlwollend“, will er den Blick auf die damalige Zeit richten, verkündet Pastor Rolf-Dieter Seemann. Den Altar hat man irgendwohin gewuchtet, an seiner Stelle empfängt den Besucher ein großes Herz aus Blüten, in dessen Mitte Teelichter brennen. Schon klar: Kirche und Kommune teilen eine zentrale Botschaft – die Liebe.

Während die Besucher Platz nehmen huschen unscharfe Bilder über die Kirchenwand. Das legendärste aller Festivals ist zu sehen, per Beamer: Bärtige Männer mit Sonnenbrillen, grinsend, schwitzend, ihre Gitarren bearbeitend. Zu ihren Füßen das Menschenmeer. 60.000 hatte man erwartet, damals, 1969. 500.000 waren gekommen. Weitere 500.000 im Verkehr stecken geblieben.

200 Menschen bevölkern die St. Petri an diesem Freitagabend. Pastor Seemann, in schwarzen Jeans, stellt seine prominenteste Zeitzeugin vor: Sängerin, „Hair“-Darstellerin und bekennendes Blumenkind Jutta Weinhold soll „Love, Peace and Happiness“ singend beschwören. Ja, auch das ist Hippies und Gläubigen gemeinsam: Die Musik ist nicht unterhaltendes, sie ist spirituelles Medium. Mit rauer Stimme intoniert Weinhold die Hendrix-Ballade „Fly On My Sweet Angel“. Auf der DVD, die stumm weiterläuft, bewegt Joan Baez dazu die Lippen, das Woodstock-Publikum ist außer sich. Das St. Petri-Publikum schunkelt.

„Als ich zum ersten Mal Janis Joplin hörte, war es um mich geschehen“, erzählt die 61-jährige Weinhold. Seither sei sie dem „Hippie-Spirit“ verfallen. „Mir tun nur all die Kiddies leid, die das nicht miterlebt haben.“ Auch Pastor Seemann kommt ins Schwärmen. Seine „sehnsuchtsvollsten Erinnerungen“ gälten dieser Zeit. „Es gab ja kein Aids.“ Er war 17 damals.

Seine Gäste folgen der offenen Beichte mit interessierten Blicken. Einige sind zu jung, um seine Nostalgie zu teilen. Andere zu alt: „Als ich jung war, war Krieg“, lässt eine Besucherin in der Brot-und-Wein-Pause wissen. Auf diesem Wege könne sie ein bisschen was nachholen. Von einem 68er-Klassentreffen ist nichts zu spüren. Einer Hand voll Gästen traut man eine Bauwagenplatz-Karriere zwar zu. Doch der Rest sind eher Eigenheimer.

Als der 68er-Experte Pastor Frank Puckelwald das Publikum dann mit Nachdruck darauf hinweist, dass den fröhlichen Woodstock-Jüngern der Vietnamkrieg im Nacken saß, möchte man schon, dass sich jeder meldet, der das noch nicht wusste. Bloß mal so der Statistik halber. Noch so eine Parallele zwischen Christentum und Flower-Power, die sich auftut: Der Wunsch nach Frieden und Gerechtigkeit auf Erden.

In Woodstock liefert Jimi Hendrix die eindrucksvollste Demonstration dieses Pazifismus’: Vor einer halben Million Amerikaner beginnt er die Hymne der Vereinigten Staaten zu spielen. Doch im Verlauf des Stückes entfernt er sich zusehends von der Melodie, hackt und haut auf den Seiten herum, zieht Töne ins Unendliche – und mündet schließlich in einem Klanggewitter, dass sich anhört wie eine Bombenschlacht.

Auf der Suche nach diesem Solo skipt Seeman durch die Kapitel der DVD und landet unfreiwillig immer wieder bei einer anderen Szene: Feist grinsend hält ein blond gelockter Jüngling einen Joint in die Kamera. Und erinnert daran, dass ein Gutteil der „Happiness“ auf eine Reihe Genussmittel zurückzuführen ist. Hendrix kosteten sie sogar das Leben. Das sei problematisch, lässt Seemann wissen. Doch die Sucht mal beiseite, von der Lust der Hippies könne man noch was lernen. Schließlich sei der Mensch auch für den siebten Tag geschaffen. Für den Müßiggang. Unterstützung bekommt er von der geläuterten Sünderin Weinhold. „In meiner Trinkflasche ist grüner Tee“, gibt die bekannt. Bis 1982 habe sie getrunken, geraucht und noch andere Sachen genommen. Heute sei die Musik ihre Droge. Da steht er leibhaftig vor einem, der biblische Lebenswandel.

In Woodstock hat sich auch ein Gleichnis abgespielt, lässt Puckelwald wissen. Als den Veranstaltern bewusst wurde, was für einen Exodus sie ausgelöst hatten, schlossen sie die Kassenhäuschen. Als das Konzert dann kurzerhand für gratis erklärt wurde, waren die meisten Zäune schon niedergetrampelt. Allerdings brach auch die Versorgung zusammen: Lebensmittel wurden knapp, Sanitäranlagen fielen aus. Da ging es sozusagen ums nackte Überleben. „Da wurde eben geteilt und plötzlich zeigte sich, dass es funktionieren kann, wenn allen alles gehört“, sagt Puckelwald. Die „Speisung der 5.000“, quasi.

Das könnte die Trendwende sein, noch im Jubiläumsjahr. Die Rückbesinnung auf 68 beginnt in einer Kirche, vor einer kleinen Menschenschaar. Dutschke wird vorerst nicht zitiert. Ein winziges Samenkorn, sozusagen. Aber wo das auf fruchtbaren Boden fällt…