Die Liste

Für jede Zielgruppe etwas und ziemlich redlich: Gestern veröffentlichte der Börsenverein des Deutschen Buchhandels die Longlist zum Deutschen Buchpreis. Die Verkaufstische der Buchhandlungen werden sich daran orientieren

Technisch funktionierte alles einwandfrei. Um Punkt 10 Uhr am Mittwoch kam, wie angekündigt, vom Börsenverein des Deutschen Buchhandels die Mail mit der Longlist zum Deutschen Buchpreis, keine Sekunde früher, keine später.

Und um 10.11 Uhr kam die vom Branchendienst Börsenblatt nach amerikanischem Vorbild initiierte Longlist zum Preis für den kuriosesten Buchtitel hinterher (Favorit: „Die Hungrigen trinken zuwenig“); dass man sich mit so einer netten Verballhornung dranhängt, zeigt nur, wie eingeführt der Buchpreis in seinem erst vierten Jahr bereits ist. Alle erwarten eben mittlerweile, dass der Gewinner, der im Oktober zum Start der Buchmesse verkündet wird, sich dann wieder verkauft wie geschnitten Brot.

Auch inhaltlich wirkt die Liste auf eine beinahe schon unheimliche Weise solide. Mit Peter Handke und Martin Walser sind auf ihr die großen Heroen vertreten. Es finden sich die Autoren, die eigentlich immer groß und früh besprochen werden, wenn sie ein neues Buch machen: Marcel Beyer, Ingo Schulze, Uwe Timm. Außerdem sympathische Autoren, denen man jeden Preis gönnt: Judith Kuckart, Hans Pleschinski; die viel diskutierten politischen Namen des Frühjahrs: Lukas Bärfuss, Sherko Fatah; Autoren leidenschaftlicher Romane mit populärem Potenzial: Karen Duve, Feridun Zaimoglu; die beiden dicken Gesellschaftsentwürfe, an denen absehbar im Herbst debattenorientierte Leser nicht herumkommen werden: Norbert Niemann, Uwe Tellkamp; einige überraschende Liebhaberprojekte gibt’s auch: Iris Hanika, Rolf Lappert, Olga Flor. Und für alle Fälle gibt es noch einen verdienten Recken wie Norbert Gstrein und Deutschlands ambitioniertesten Vielschreiber: Dietmar Dath. Eine bunte Liste also! Was auffällig fehlt, sind nur Vertreter der Literaturlehrgänge, kein Thomas Pletzinger, kein Thomas von Steinaecker, um Leipzig und Hildesheim scheint die Liste einen Bogen zu machen.

Die bösere Lesart der Liste besagt: Sie wurde zusammengestückelt aus den verschiedensten Versuchen, bloß nichts falsch zu machen. Für jeden was dabei, sei es für den traditionellen, den populären, den literarisch avancierten, den politisch interessierten oder den bloß namensgeilen Romanleser. Und dabei sind fast alle Kandidaten längst abgesichert durch andere Preise, Verkaufszahlen oder Feuilletonaufmerksamkeiten.

Die wohlwollende Lesart besagt: Genau damit ist diese Liste ein getreues Abbild der deutschen Literaturlandschaft. Auch auf den Büchertischen der Buchhandlungen herrscht ja ein fröhliches Durcheinander der Ansätze – heute gibt es ein Patchwork aus Angeboten, das für jede Zielgruppe etwas bereithält. Das spiegelt die Liste ganz gut: Sie enthält einen Querschnitt durch den anspruchsvollen Mainstream der deutschen Literatur, der tatsächlich auch Chancen hat, gut verkauft zu werden, plus mainstreamkompatible Außenseiter, die sich als Umrahmung gut machen. Nicht gerade aufregend. Aber ziemlich redlich.

DIRK KNIPPHALS

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