: Unverfrorene, nackte Komik
Was Vania Rovisco und Abraham Hurtado derzeit in der Galerie Tristesse Deluxe in Gang gesetzt haben, ist unbeholfen, chaotisch, chancenlos – und eben deswegen attraktiv
Nelja Stumps Galerie Tristesse Deluxe hat wieder einmal den Standort gewechselt. Zu den neuen Räumen gesellt sich der Wunsch, in Zukunft noch stärker projektbezogen zu arbeiten. Einen Anfang macht eine von Vania Rovisco und Abraham Hurtado kuratierte Live-Performance. Sie wird bis Freitag von zehn Künstlern in einer begehbaren, stets sich verändernden Installation verarbeitet. Sie präsentiert sieben Arbeiten und einen Formatspagat aus Tanz, BodyArt, Video und Hörspiel. „Diese sollen sich bedingen und miteinander arbeiten, sie sollen ineinanderfließen.“ Sagt Vania Rovisco und entschuldigt sich. Sie müsse sich jetzt ausziehen.
Rovisco ist der ruhende Mittelpunkt des Projekts, wenn sie später nackt auf einem alten Operationstisch liegt, der mit weißem Fett beschmiert ist. Zwei Filme werden auf ihren Körper projiziert. Gleich im Eingang eine weitere Frau, nur der Oberkörper ist mit einem Nerz bedeckt, die italienische Performerin Maria Francesca Scaroni streichelt ihn und formt spröde Figuren mit ihrem Körper. Die offensive Nacktheit der schönen Frauen wirkt nicht aufmerksamkeitsheischend, eher störrisch, traurig und verzehrend. Viele der KünstlerInnen kommen von der Bühne, sind ausgebildete Tänzer. Sie agieren zwischen Videos, die obskur bis pathetisch daherkommen, etwa eine von Brasilpop umhüllte Gregor-Samsa-Paraphrase.
Die Wände der hinteren Räume sind weiß gefliest, die Fenster zugehängt. In den düsteren Räumen stehen wuchtige Maschinen, ein alter Ofen, ein riesiger Kühlschrank, hier wurde einmal Brot gebacken. Die unfertige Ästhetik soll den Ausgangspunkt einer Live-Performance bilden, von der niemand weiß, wohin sie führen wird. Für die pointierteste Arbeit wurde einem großen, dünnen Mädchenkörper ein Pappkarton über den Kopf gezogen. Unterlegt mit einem Monolog, der von dem desolaten Versuch handelt, zu verändern, bündelt die Arbeit das transzendente Sinn-Chaos, das die ganze Ausstellung begleitet, und verleiht ihr eine destruktive Komik und Unverfrorenheit.
Wegen aktueller technischer Schwierigkeiten ist das Projekt auf der Website der Galerie unbeworben. Nach vorne werden die Räume derzeit noch als loungiges Café zweckentfremdet. Das heißt, das hier stattfindende Projekt existiert von draußen besehen praktisch nicht. Könnte man diesen dramatischen Bodyspace von den schicken White Cubes in Mitte aus betrachten, erschiene er wie ein Blick zurück in die Anfänge der Berliner Nachwende-Kunst, ein Blick in die inszenierten Bruchbuden, als neuer Raum besetzt wurde, Interaktion und interdisziplinäre Beweglichkeit das Gebot der Stunde waren. Hier in der Wallstraße unweit der Fischerinsel, die in ihrer irrlichternden Langsamkeit selbst wie aus der Zeit herausgefallen scheint, vollzieht sich ein zarter Anarchismus. Weil das so aber gar nicht intendiert scheint, wird er zum unfreiwilligen Coup.
Wo andernorts alles teuer verkauft werden und cool sein muss und immer härter um Aufmerksamkeit gekämpft wird, da wirkt dieses seltsame unbeholfene Drama wie eine Reinigung. Eine Reinigung zumal, die mit ihrer überstürzten Sexiness und Körperbezogenheit in Berlin für sich steht. Inwiefern das Konzept der körperlichen Annäherung und Prozesshaftigkeit bei den formal strengen und zu wenig Interaktion fähigen Videoarbeiten funktionieren wird, bleibt abzuwarten. „Wir machen das immer auch, um zu überlegen.“ Meint die Galeristin. An der existenziellen Wucht, die das Projekt entfaltet, kann man noch bis Freitag teilhaben. TIMO FELDHAUS
Wallstraße 15a, tgl. 15–18 Uhr