: „Profi werden, hier bleiben“
Im Internat des HSV, wo Talente zu Profifußballern ausgebildet werden, leben seit kurzem drei Südkoreaner. Die wundern sich über geschlossene Läden – und über den Stellenwert der Disziplin
von ROGER REPPLINGER
An der Wand hängt ein Foto von Paul Hauenschild, den zu Lebzeiten alle „Onkel Paul“ nannten. Hauenschild, Jahrgang 1882, trägt auf dem Foto einen Hut wie der Opa der alten Tchibo-Werbung. Das Foto hängt in der Eingangshalle des HSV-Internats in Norderstedt im Norden von Hamburg. Hauenschild, ehemaliger HSV-Präsident und Besitzer der Hauenschild Formpolster Gesellschaft, hat das Internatsgelände mit dem dazugehörenden Lindenhof am 20. März 1928 für den Verein erworben. Danach entstanden hier Fußballplätze, Hockeyfelder, später eine Halle und schließlich das Internat.
Zu den Bewohnern des HSV-Internats gehören seit kurzem die Südkoreaner Min Hyeok Kim, Jong Pil Kim und Heung Min Son. Die drei sind 16 Jahre alt und sollen in der kommenden Saison die B-Junioren des HSV verstärken. Außerdem müssen sie sich zurechtfinden in der neuen Umgebung, sozial und auch sportlich.
Jong Pil Kim und Heung Min Son spielen an diesem Nachmittag in Badelatschen Tischtennis. Ist es warm, gehen sie in den Latschen spazieren. Wenn es kalt ist auch. Min Hyeok Kim kann nicht Tischtennis spielen, meint man. Er kommt gerade vom Doktor, das Knie tut ihm weh. Er geht an Krücken und steht nun auf einem Bein am Tisch, Krücke links, Schläger rechts, und spielt. Die Jungs sind 16, da geht so was und meistens geht es gut.
Insgesamt leben 17 Jugendliche zwischen 14 und 18 Jahren im Internat des Hamburger SV. Sie haben Zimmer, machen hier ihre Hausaufgaben, gehen von hier in die Schule, trainieren hier. Dazu kommen noch maximal 25 Jungs, die von ihrer Schule im Großraum Hamburg abgeholt, nach Norderstedt und abends wieder nach Hause gebracht werden. Sie werden verköstigt, lernen für die Schule, trainieren, bekommen Nachhilfe, falls nötig.
Die koreanischen Jungs wurden gescoutet. „50 Fußballer wurden gesammelt, getestet und dann sechs ausgewählt, die nach Deutschland kommen durften“, erzählt Heung Min. Drei sind in Hamburg, drei in Nürnberg gelandet. „Profi werden, hier bleiben“, nennt Jong Pil aus Seoul sein Ziel. Heung Min hatte in Korea „noch nie was vom HSV gehört“, Jong Pil wusste, dass es in Hamburg einen Bundesliga-Verein gibt.
Min Hyeok „hat kein Heimweh“, die anderen auch nicht. Jong Pil vermisst seine Freunde, seine Familie, „das Essen ist anders, aber das ist egal“. Er staunt darüber, dass „in Norderstedt um 22 Uhr kein Mensch mehr auf der Straße ist. Nichts. Niemand. Alles leer.“ Heung Min und Min Hyeok nicken. „Das ist in Korea anders“, sagt Min Hyeok. „Und Sonntags sind die Läden zu, sie sind öfters zu als auf“, wundert sich Heung Min. Frauen, staunt Jong Pil, „rauchen auf der Straße. Frauen rauchen überhaupt, und dann auch noch auf der Straße“. Die anderen nicken. „Kinder rauchen in Gegenwart ihrer Eltern, das wäre in Korea undenkbar“, sagt Heung Min. Und es gibt kein Karaoke in Norderstedt.
Nachts auf St. Pauli waren die drei noch nicht. Das sollte Internatsleiter Oliver Spincke, 33, diplomierter Sozialpädagoge, mal mit ins Besuchsprogramm aufnehmen. Hafenrundfahrt haben sie gemacht und auf dem Hamburger Dom waren sie. Aber nicht St. Pauli. Da gibt’s bestimmt auch irgendwo Karaoke.
Eltern und Geschwister haben nicht geweint, als die drei abgereist sind. „Na ja“, erinnert sich Min Hyeok, „die Großmutter hat doch geweint“. Heung Mins Eltern seien ganz froh über seinen Abschied gewesen, „weil ich so viel esse, und sie jetzt das Geld sparen“. Alle lachen.
In Korea wird drei, auch mal vier Stunden trainiert. Hier maximal zwei. Und es geht lockerer zu. „In Korea wird mehr Wert auf Disziplin gelegt“, sagt Jong Pil. „Aber das Wichtigste ist: Hier interessieren sich alle für Fußball, in Korea nicht.“
Sie sprechen kein Wort Deutsch außer „danke“. Als jedoch ein paar Mitspieler aus der B-Jugend vorbeikommen, läuft das internationale Begrüßungsritual ab: Abklatschen, die Fäuste gegeneinander boxen, grinsen.
Die drei haben das Spiel des HSV gegen den Karlsruher SC gesehen, das erste Heimspiel des HSV in der neuen Saison. Heung Min meint, „dass der HSV ein gutes Team ist, aber nicht perfekt“. Gut fand er die Nummern 14 (David Jarolím), Acht (Nigel de Jong) und 21 (Jonathan Pitroipa).
Die drei bleiben ein Jahr und werden, so bald es ihre Sprachkenntnisse zulassen, zur Schule gehen. Taschengeld bekommen sie noch nicht. Weil der HSV ausländerrechtlich kein Geld geben darf, muss mit dem koreanischen Fußballverband geklärt werden, von wem und wie viel Taschengeld die Jungs kriegen.
Einen koreanischen Coach gibt es auch: Jong Gun Kim, Trainer der koreanischen Frauen-Fußballnationalmannschaft, der zwischen Nürnberg und Hamburg hin- und herpendelt. Und Dolmetscher Jin Woo Kim, Kunststudent aus Seoul – der in zweieinhalb Jahren hervorragend Deutsch gelernt hat.