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Archiv-Artikel

Integration ist ein Menschenrecht

betr.: „Integrierte Schulen unerwünscht. In einer badischen Schule lernen geistige behinderte und nichtbehinderte Schüler gemeinsam“, taz vom 8. 9. 08

Es ist der taz hoch anzurechnen, dass sie immer wieder über Modelle der Integration von Behinderten in das Alltags- und Berufsleben berichtet und dass sie auch den Kampf der Integrativen Waldorfschule Emmendingen gegen das verordnete Auslaufen ihres integrativen Modells berichtend begleitet. Dennoch vermuten wir, dass Nichtbetroffenen die Tragweite gerade der schulischen Problematik nicht deutlich genug wird – so wie es uns gegangen wäre, bevor wir Eltern eines Kindes mit einer so genannten geistigen Behinderung wurden.

Unser Kind kommt nun in die dritte Klasse und hat sowohl im letzten Zeugnis der Schule als auch im aktuellen Testbericht des Kinderarztes signifikante Entwicklungsfortschritte attestiert bekommen. Aus einem sehr zurückhaltenden, oft desorientierten, schwierigen Kind ist ein selbstbewusstes, lernwilliges Mädchen geworden, das nicht nur dabei ist, Lesen, Schreiben und Rechnen zu lernen, sondern auch von den gesunden Kindern in der Klasse und unserer Nachbarschaft ohne Einschränkung akzeptiert wird und für das wir nun nach Jahren der Ängste und Sorgen hoffen können, dass es im Rahmen seiner Möglichkeiten ein glückliches, weitgehend selbständiges Leben wird führen können. Gewiss haben auch andere Faktoren (konsequente Frühförderung, ein ebenfalls integrativer Montessori-Kindergarten, eine gesunde Schwester, ein engagiertes Umfeld) die Entwicklung unseres Kindes begünstigt, aber all das wäre möglicherweise wieder verpufft, wenn es nicht auch in der Schule den selbstverständlichen Umgang mit gesunden Kindern haben könnte.

Die betroffenen Kinder im Modell der Integrativen Waldorfschule Emmendingen sind integriert, akzeptiert und optimal gefördert, was auch Außengutachten bestätigen. Nun argumentiert das Stuttgarter Kultusministerium, es könne nicht nachgewiesen werden, dass die behinderten Kinder durch den integrativen Unterricht „bessere Leistungen“ erzielten. Es mag sein, dass unser Kind auch in einer Außenklasse Lesen und Schreiben gelernt hätte, aber es wäre ausgesondert geblieben, ausgeschlossen vom täglichen Umgang mit „normalen“ Kindern. Für uns und alle Eltern in ähnlicher Situation, die wir kennen, ist es unfassbar, dass in Baden-Württemberg und im Grunde fast überall in Deutschland integrativer Unterricht nicht oder kaum stattfindet – im Unterschied etwa zu den skandinavischen Ländern, die in der Pisa-Diskussion so gern als Vorbilder betrachtet werden.

Alle Parteien sind sich darin einig, dass der Sozialstaat gerade für die Schwächsten da sein muss. Wie kann es dann sein, dass die anerkannt erfolgreiche Förderung für eine Gruppe dieser Schwächsten aus augenscheinlich finanziellen Gründen nicht bewilligt wird? Denn der Emmendinger Schule fehlten, befolgte sie den vom Ministerium vorgeschlagenen scheinbaren Kompromiss, sich in eine normale und eine Schule für geistig Behinderte zu spalten, bis zu 300.000 Euro, weil die bisher von den Landratsämtern bewilligten Zuschüsse für Schulbusse und Integrationshilfe entfielen. Und wie kann es sein in einer Demokratie, in der die Gleichberechtigung aller Individuen und ihre freie Entfaltung grundgesetzlich verankert sind, dass der Wille der Eltern, ihren Kindern ein möglichst normales, diskriminierungsfreies Schulleben zu ermöglichen, so gering geachtet wird? NINA UND MICHAEL FALENTIN, Freiburg