Guten Morgen, Deutschland!

Guter Kompromiss zwischen London und Paris: Auch Tim Gane, gebürtiger Londoner, Gitarrist und Komponist von Stereolab, ist jetzt in Berlin angekommen. Zusammen mit seiner französischen Frau wohnt er in Prenzlauer Berg und fühlt sich wohl dabei

VON RENÉ HAMANN

Tim Gane ist ein Morgenmensch. So wurde er jedenfalls angekündigt, was auch den Vormittagstermin erklärte, und es war nicht sein erstes Interview an diesem Tag. Tim Gane sitzt freundlich im Café November in der Husemannstraße in Prenzlauer Berg, der Kollwitzplatz liegt sozusagen um die Ecke, und erklärt sein frühes Aufstehen mit einem Installateur, der in seinem Diktum nur „Heizung“ heißt. Denn wenn es Leute gibt, die überpünktlich und zu goldener Morgenstunde irgendwo auftauchen, um zwei Stunden lärmend zu werkeln und den Rest des Tages dann Kaffee trinkend in ihren Buden oder Kastenwagen zu sitzen, dann sind das Handwerker. Der pure Gegensatz zu Nachtlebenmenschen.

Aber zurück zu Tim Gane. Tim Gane, Komponist und Gitarrist der elektrischen Popgruppe Stereolab, ist mit seiner Frau nach Berlin gezogen, vor einem halben Jahr schon. Berlin war, so sagt er, der Kompromiss zwischen London, wo Gane seit seiner Geburt gelebt hat, und Paris, der Heimatstadt seiner Frau. Und nein, seine Frau heißt nicht Laetitia Sadier. Mit Sadier, Texterin und Sängerin von Stereolab und die andere Größe im Bandsystem, hat Gane mehrere hundert Stücke geschrieben, lange zusammengelebt und sogar ein Kind. Das ist allerdings mit Sadier in London geblieben, wo Gane ein Haus hatte. Das Paar hat sich bereits im Jahr 2003 getrennt, das Haus in Mittellondon hat Gane jetzt aufgegeben, die Instrumente und das bandeigene Studio befinden sich in Frankreich. Tim Gane und Frau wohnen in Berlin-Prenzlauer Berg.

Natürlich stellt sich die Frage, was einen Londoner und eine Französin zusammen nach Berlin führt. Klar ist die deutsche Hauptstadt bei allen Kreativen dieser Welt sehr beliebt: Man kann prima in Übersee Geld verdienen, das hier dreimal reicht, um ein ordentliches Leben zu führen, und sofern man kein Geld in Übersee verdient, kann man hier wenigstens ein Künstlerleben führen, wie es sich gehört. Wie es beispielsweise Ganes alter Kumpel und Exschlagzeuger Joe Dilworth, der immer noch in der 8mm Bar oder sonstwo Platten auflegt und bei irgendwelchen Projekten trommelt. „Ich habe auch schon in der 8mm Bar aufgelegt“, protestiert Gane. „Ich glaube, schon eher als Joe. Viel Kontakt haben wir eh nicht, wir bewegen uns in ziemlich anderen Kreisen.“

Gane und Frau sind über den Arkonaplatz gekommen, von der Wohnung der Freunde von Stereo Total, also Göring und Cactus, die dort seit einiger Zeit wohnen. Verschlagen hat es sie aber ins Winsviertel. Neubürgerlich. Gane steht dazu. Die wilden Tage, falls er sie neben Bandroutine und bandinterner Kleinfamilie je hatte, sind vorbei. Tim Gane ist jetzt ein freundlicher, nicht unattraktiver Mann knapp jenseits der dreißig, dem seine juvenile Begeisterung für alles, was strukturierten Lärm macht, allerdings noch immer anzumerken ist.

Tim Gane ist, was vielleicht überrascht, das musikalische Herz der Band Stereolab, denn ihre Stücke entstehen zuerst in seinem Kopf, auf seinen Papieren und Demos, bevor er sie Sadier überlässt, die dann Texte und Gesang dazu erfindet. Tim Gane ist der Klangforscher mit der Vorliebe für repetitive Strukturen und Schrammelgitarren. Er ist kein Lad und auch kein Poparistokrat, einen Hit zu schreiben, hat ihn nie interessiert, er könnte das auch gar nicht, wie er meint. So hat er eher was von einem erwachsen gewordenen Studenten, College Boy, der mittlerweile selbst Seminare gibt. Und so klingen auch die Platten von Stereolab inklusive ihrer neusten, „Chemical Chords“. Das Staubige eines Lesesaals trugen sie schon immer mit sich. Meist im positiven Sinn.

Und was verspricht sich Gane von Berlin? Natürlich stechen die Vorteile Berlins gegenüber London und Paris heraus: Eine mitteleuropäische Großstadt, in der sich günstig leben lässt. Keine Überbevölkerung, keine zu große Hektik, alles wirkt entspannt. Vor den Cafés stehen Stühle auf dem Gehsteig. In den Parks wird gegrillt. Das alles gibt es in London nicht. Dafür trinkt man in London auch nicht bis in den Morgen: „Da ist um elf alles vorbei, was Vorteile hat, da man dann besser früh aus dem Bett kommt! Hier lachen dich die Leute aus, wenn man sich mit ihnen vor Mitternacht treffen möchte.“ Generell geht Gane auch lieber in Bars als in Clubs. Eher in den Monarch oder die 8mm Bar als ins Berghain.

Die Animositäten der Bezirke gegeneinander und den Hass auf Yuppies, findet Gane albern. „Das war in London in den frühen Achtzigern auch so. In diesem Punkt ist Berlin zwanzig Jahre hinterher. Die Leute hier sind besessen von diesen Kategorisierungen. Dabei besteht eine Stadt doch aus vielen verschiedenen Schichten, das macht eine Stadt aus.“ Niemand will eine Stadt, die nur aus VIPs besteht. Genauso blöd ist aber die Idee einer VIP-freien Stadt: „Die Leute haben alle möglichen Vorurteile. Man wohnt in Prenzlauer Berg und soll gleich schwanger werden! So ein Unsinn. Die Leute sollten sich mal in London umschauen! Das ist ein Ort, wo man nicht mehr wohnen kann. Hier ist es einfach sehr entspannt.“

Sagt er und grinst. Berlin ist auch eine Stadt, in der sich Öffentlichkeit und Abgeschiedenheit nicht ausschließen müssen. Ruhe und Betrieb in einem. Gane hat einiges hinter sich, Kind, Trennung, Todesfall (Bandmitglied Mary Hansen kam 2002 bei einem Unfall ums Leben) und jetzt Umzug und Neubeginn, aber die Band Stereolab gibt es immer noch und wird es wohl auch noch lange geben. „Es ist einfach die richtige Kombination von Leuten“, sagt Gane, während im Hintergrund Sade läuft, „Smooth Operator“. „Warum also aufhören.“