: Tumult der Gedanken und Gefühle
Die zypriotische Künstlerin Haris Epaminonda trat in Berlin bislang als Stipendiatin des Künstlerhauses Bethanien und Teilnehmerin der 5. berlin biennale in Erscheinung. Nun zeigt sie in der Galerie Circus ihre Videoserie „Tarahi“
Eine Frau in leuchtend rotem Rock mit gepflegtem, langen vollblonden Haar, das auch eine Perücke sein könnte, ist von hinten zu sehen. In dem Raum verhängen lange Falten werfende Stoffe die Wände. Die weiten Ärmel ihrer dunklen Chiffonbluse fallen in ähnliche Falten. Erst nach einer Weile bewegt sich die Unbekannte, dreht sich aber nicht zur Kamera.
Die reich verzierte Lehne eines aus dunklem Holz gearbeiteten Sessels ragt ins Bild – könnte aber auch der Kopf einer kleinen Wohnzimmerskulptur sein. Nach vorn gebeugt steht die Frau da, so wie die ebenso blonde Gena Rowlands in den Filmen von John Cassavetes dastehen kann, wenn ihr das bürgerliche Leben zu viel abverlangt. Zur dramatischen Eskalation wie bei den großartigen Auftritten von Rowlands kommt es in dem auf eine Sequenz reduzierten Video „Tarahi IIII“ von Haris Epaminonda nicht. Aber die Musik, ein Auszug aus einer Klaviersonate des russischen Komponisten Alexander Skrjabin, verleiht der Szene eine ähnlich emotionale Intensität.
Nahezu perfekt scheint es, dass sich Epaminonda für die Musik von Skrjabin entschieden hat. Anfang des 20. Jahrhunderts interessierte sich der Musiker für Farbkompositionen und schrieb eine Symphonie, bei der eine Stimme von einer Farborgel interpretiert wurde. Epaminonda komponiert mit größtem Feingefühl die Bewegungen, Farben und Texturen ihrer Figuren, von denen man denken könnte, dass sie nur schwerlich in eine andere Stimmung zu versetzen sind.
Ton oder Bilder – Epaminonda arrangiert in ihrer Videoserie „Tarahi“, von der Teil drei, fünf und sechs zu sehen sind, ausschließlich Found Footage und entdeckt im Alltäglichen das Unheimliche, im stark Kodierten das Ungewisse. Kurze Sequenzen aus griechischen Kitsch- und Liebesfilmen der 1960er-Jahre, die nicht anders aussehen als Hollywoodproduktionen aus derselben Zeit, hat sie neu inszeniert: die zunächst bekannten Bilder verlangsamt, deren Farbwerte verstärkt, Bilder überlagert oder in Motive hineingezoomt. Es ist die Zeit, in der Douglas Sirk seine Melodramen wie „Imitation of Life“ gemacht hat. Über Bilder aus einer heilen Welt der Soap Operas, die den Wirtschaftsaufschwung illustrieren, legt sie Feuerwerksexplosionen. Oder sie zoomt die Füße eines Mädchens in weißen Socken und weißen Sandalen heran, das im Wiegeschritt seine Puppe im Arm hält. Aus uneindeutigen Andeutungen ergibt sich eine magische Spannung, die nicht zur Auflösung kommt. Kurz ist das Gesicht von Kim Nowak aus Hitchcocks „Die Vögel“ zu sehen. Oder ist sie es doch nicht? Sekunden steht das Still da, die völlig ausreichen, um ein Déjà-vu zu erleben. Und es bleibt nicht bei Novaks Gesicht, das bekannt vorkommt. In Tahari V gibt es das statische Rückenporträt eines Mannes und einer Frau, die zwei übernatürliche weiße Kondensstreifenkreise am Abendhimmel betrachten. Man landet gleich bei Magritte. John Baldessari kommt bei Tahari VI in den Sinn. Analog zu den geklebten „Dots“ des Amerikaners führt Epaminonda Lichtkegel über die Bilder – wie ein mildes Sonnenlicht, das über die Baumwipfel wandert, oder ein Scheinwerferkegel, der sich über das Gesicht eines Mannes schiebt. Mit Baldessari verbindet sie das Interesse an den Zwischenräumen, den Atempausen einer Erzählung. Anders als Baldessari involviert sie die Zuschauer emotional, wie es die Soap Operas auch tun. So werden die Sequenzen zu Abziehbildern der Erinnerung. Was hervortritt, sind die rätselhaften Gesten, für die es absichtlich keine Auflösung gibt. Ein besseres Porträt von wohlig wirren Erinnerungsmechanismen hätte Haris Epaminonda also gar nicht montieren können.
So sorgen alle drei Teile ihrer Serie Tahari, was übersetzt Aufruhr bedeutet, für gedanklichen Tumult. Nacheinander werden die drei Videos, die schon im zypriotischen Pavillon bei der Venedig-Biennale zu sehen waren, an verschiedene Wände des komplett verdunkelten Galerieraums in der erst wenige Monate alten Galerie projiziert. Würde man Raum und Projektionen um das Dreifache vergrößern, würde man sich in einer veritablen Museumsinstallation aufhalten. Oder in ein paar Jahren in einer größeren Circus-Manege.
VERA TOLLMANN
Haris Epaminondas „Tarahi IIII, V, VI“ ist noch bis 11. Oktober 2008 in der Galerie Circus zu sehen