: Fenster zur Hochschule
Herausgeber eines anspruchsvollen Kunstbuch-Programms ohne feste Stelle oder Finanzierung: Der Material-Verlag an der HfbK Hamburg geht in sein 30. Jahr
Dass die Hochschule für bildende Künste Hamburg (HfbK) einen Verlag betreibt, wissen nur Eingeweihte. Das aktuelle Verlagsprogramm mit 61 lieferbaren Titeln gilt unter Liebhabern kleiner Editionen von künstlerisch und handwerklich gut gemachten Büchern als Geheimtipp.
Als Herausgeber fungieren wechselnde Professoren und Assistenten der HfbK. Sie betreuen die Buchprojekte, die von Studenten und Professoren stammen und immer von A–Z selbst gemacht werden. Von der Wahl des Themas bis zur Fadenheftung in Handarbeit sollen die Studenten lernen, gleichzeitig Autoren und Macher zu sein.
Hans Andree, Professor für Typographie, brachte das in den 80ern eingeschlafene Unternehmen mit Unterstützung durch die Assistentin Beate Mohr, die Professorin für Fotografie Silke Grossmann sowie den Lehrer für besondere Aufgaben Rainer Oehms wieder auf Trapp. Er findet: „Wenn eine Schule etwas zu sagen hat, muss sie einen Verlag haben.“ Eine spezielle Stelle oder Finanzierung gibt es allerdings nicht. Produziert werden die Bücher mit Hilfe des Freundeskreises der HfbK, der Karl-Dietze-Stiftung und über einzelne Sponsoren. Jeder Autor buttert in sein Werk hinein und kümmert sich auch selbst um den Vertrieb, damit Geld zurückkommt.
Gegründet wurde der Verlag 1972, um Materialien für Unterricht und Lebensgestaltung herauszugeben. Seitdem ist er ein offenes Fenster, das einen Blick auf das Innenleben der Hochschule freigibt und dessen Produkte einladen, an ihrem theoretischen und praktischen Diskurs teilzuhaben. In den dreißig Jahren wurde er zum Spiegel der künstlerischen Prozesse und Ideologien – und damit auch des gesellschaftlichen Wandels.
In einem der ersten Hefte zeigt der Student Stephan Balkenhol die Herstellung von Druckbuchstaben für Kinder, mit denen sie Lesen und Schreiben lernen sollten und fand dabei sein bevorzugtes Material: das geschnitzte Holz. Als die 68er-Bewegung den Lehrbetrieb an der HfbK prägte, beteiligte sie sich an der praktischen Umwälzung der Gesellschaft. Die Broschüren der Frühzeit thematisierten den „Kampf um Wohnraum“ und die „Gründung von Bauspielplätzen“ und belieferten damit Bürgerinitiativen. Oder sie erklärten wie man „Flugblätter in hohen Auflagen“ herstellte – für den Protest etwa gegen Atomkraftwerke unerlässlich – als es noch keine Kopierer, sondern nur das Patent Blaupause gab.
Während früher vor allem der Bereich Visuelle Kommunikation Materialien lieferte, beteiligen sich heute alle Fachbereiche am Programm. Das verfolgt zwei Linien: Eine führt zu künstlerischen Buchobjekten mit experimentellen und innovativen Fotografien und Zeichnungen. Randfüllend nimmt eine Abbildung ohne Textfeld eine Seite ein. Da recken Hähne stolz porträtiert ihren Hals, Hemden bekommen ein gespenstisches Eigenleben oder seltsame Kinderfiguren verstören. Die andere Linie umfasst wissenschaftliche Texte in künstlerischer Gestaltung. Unter den Gedichten, den Schriften zur Ästhetik, Typographie, Film, Kunstgeschichte und Architektur ist manche Arbeit, auf die Großverlage neidisch schielen könnten: etwa das Tagebuch des Nicéphore Niepce, der 1826 das erste dauerhafte Foto bannte.
Neuerdings gibt es auch digitale Kunstwerke: CD-ROMs, die den Rechner zum Werkzeug der Bilderstellung machen, indem sie mit gespeicherten Texten Schabernack treiben oder Buchstaben in Töne verwandeln. In Vorbereitung sind ausgewählte Vorlesungen von Professoren und Gastdozenten und eine Zusammenfassung der 30-jährigen Geschichte des Verlags. Jedes Kunstbuch aus dem Material-Verlag besitzt bei kleinen Auflagen zwischen 50 und 500 Stück die Aura eines Kunstwerks und eines Sammlerstücks – aber zu bezahlbaren Preisen. Lisa Monk
Material-Verlag, HfbK, ☎ 428 32-32 17, www.material-verlag.de