Richtungskampf um rechten Weg
Hamburgs Neonazi-Strategen Worch und Wulff im Streit über taktische Ausrichtung: Weiterhin „Demotourismus“ oder hin zum „Basiskampf“? Eine Empfehlung lautet, von den linken Bambule-Demos zu lernen, wie eine Stadt in Atem zu halten ist
von PETER MÜLLER und ANDREAS SPEIT
Für Hamburgs Innensenator Ronald Schill – der selbst zum rechten Rand gehört – ist die militante Neonaziszene keine Gefahr mehr. Schon bei der Vorlage des Verfassungsschutzberichtes 2001 im Sommer vorigen Jahres gab er Entwarnung. Und auch der neue Verfassungsschutzchef Heino Vahldieck (CDU) widerspricht ihm bis heute nicht – obwohl seine Fachleute es besser wissen müssten.
In der Tat: Nach fast vier Jahren Dauer-Aufmärschen auf der Straße scheint es im nordischen Schaltzentrum der rechten Strategen relativ ruhig geworden zu sein. Doch der öffentliche Schein trügt, die optisch nicht präsente Neonazi-Szene ist quantitativ und qualitativ keineswegs geschwächt, vielmehr ist ein interner Umdenkungsprozess entflammt. Das gemeinsame Ziel im Auge stehen sich zwei langjährige Weggefährten nun als Kontrahenten gegenüber: Die Neonaziführer Thomas Wulff und Christian Worch.
Während Wulff und Tobias Thiessen, Stratege des „Aktionsbüro Norddeutschland“ mittlerweile den „Demotourismus“ in Frage stellen, listet Worch gern weiterhin die diversen Demos auf, die er beim Bundesverfassungsgericht durchsetzte. Zur Rechtfertigung führt er auch 34 Aufmärsche auf, die er 2002 persönlich absolvierte, sowie die Teilnehmerzahlen: „Im Schnitt 400 Kameraden“, und er allein sei für die rechte Sache „27.190 Kilometer“ quer durch die Republik gefahren.
Alles Belege für die Notwendigkeit der Aktionsform: „Man kann trefflich darüber streiten, welche politischen Aktivitäten am wirksamsten sind“, räumt Worch ein. „Natürlich sind auch Kampagnen mit Flugblättern oder Plakaten wirksam, Internetarbeit, interne Versammlungen, die nicht allein der Geselligkeit dienen, sondern auch der Schulung und der Festigung kameradschaftlicher Bande.“ Dennoch hält er „Demonstrationen für die wirksamste Waffe gegen Repression und fehlerhafte Politik“.
Wulff und Theissen halten dagegen: „Viele Kameraden kennen die Bahnhofsvorplätze und Innenstädte ungezählter Städte in der ganzen Republik – aber wo bei ihnen um die Ecke die örtliche Antifa-Location ist, davon haben sie keinen Schimmer.“ Bei den Aufmärschen fehle es vor allem „an einer inhaltlichen Auseinandersetzung“.
Zwar befürworten auch sie „Trotzdemonstrationen“ wie die Aufmärsche gegen die Springer-Presse in Hamburg, aber „ohne Begleitung und Nachbereitung“ wären die Aktionen verpufft. „Unter verantwortungsbewussten Führungskameraden hat sich die Einsicht durchgesetzt, dass ein Übermaß an Demonstrationen derzeitiger Prägung ein eher sinnloser Kräfteverschleiß ist.“ Selbst Demos gegen die so genannte „linke Gewalt“ oder für „Opfer ausländischer Gewalt“ seien nur mäßig besucht worden und hätten keinen Zulauf gebracht. „Der große Schwung war einfach raus.“
Die Alternative sei der „Basiskampf“. Ein „neues Bewusstsein“ müsse „im Widerstand verankert werden, das die Dinge wieder ins richtige Lot bringt.“ Demos seien „Propagandamärsche – nicht mehr und nicht weniger“, so Wulff & Co. „Öffentlich werben sollte nur, wer die geworbenen Menschen anschließend auch wirklich sinnvoll in die Basis integrieren kann.“
Dabei verweist das „Aktionsbüro Norddeutschland“ auf die linke Szene und deren Internet-Projekt „Indymedia“ mit unverhohlenem Neid: „Schaut euch mal Indymedia an, wie die Linken arbeiten“, so eine Erwiderung auf Worch. „Ein glänzendes Beispiel waren die Bambule-Demos in den letzten Wochen in Hamburg: Die ganze Stadt wurde wochenlang in Atem gehalten, es wurde überall diskutiert und thematisiert, die Medienschlagzeilen rissen nicht ab.“ Daher wird vom Aktionsbüro für mehr „konzeptionelles und ganzheitliches Denken“ plädiert.
Schon im vorigen Jahr deutete sich der Richtungskampf zwischen Worch und Wulff an, weil sich Worch durch das „Aktionsbüro“ hintergangen fühlte. Der Ex-Bergedorfer Wulff bemüht sich vornehmlich um die lokalen Kader und setzt auf den Ausbau des Schulungszentrums in Amholz bei Boizenburg, der sich wegen finanzieller und baulicher Probleme ständig verzögert. Worch hingegen setzt weiter auf Mobilisierung durch bundesweite Aufmärsche und versucht, durch die juristische Durchsetzung von Rechtsrock-Konzerten die Skinhead-Szene in seinen Einflussbereich zu ziehen.
Für den 18. Januar hat Worch nun erstmals wieder einen Aufmarsch im Großraum Hamburg angemeldet – diesmal in Uetersen. Vermutlich wird der Propaganda-Marsch für ihn zum Gradmesser, ob seine Gefolgschaft hinter ihm steht. Das „Aktionsbüro“ wirbt bislang nicht dafür.