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Archiv-Artikel

Kunstflieger landet ganz vorn

Litauens ehemaliger Regierungschef Rolandas Paksas entscheidet die Präsidentenwahl überraschend für sich

Er sah den dreißig Jahre jüngeren Rolandas Paksas offenbar als seinen Ziehsohn an. Litauens Staatspräsident Valdas Adamkus hob ihn 1999 und 2000 zweimal in das Amt des Ministerpräsidenten und beschäftigte ihn zeitweise als seinen Ratgeber für Energie- und Wirtschaftsfragen.

Nun hat der Zögling seinen Gönner aus dem Amt katapultiert. Mit einem Wahlkampf, der nichts mehr von dem engen politischen wie persönlichen Verhältnis spüren ließ. Der Karrierepolitiker Paksas hat mit nur 46 Jahren den Sprung in das höchste Amt des Landes geschafft. Nach dem ehemaligen KP-Funktionär Algirdas Brazauskas und dem Exil-Litauer Adamkus steht jetzt der Vertreter einer „neuen“ hausgemachten litauischen PolitikerInnengeneration an der Spitze – ohne Belastungen oder Verdienste aus sowjetischer Zeit.

Die engste Verbindung des Kunstfliegers und Stuntpiloten zur Sowjetvergangenheit ist seine Tätigkeit als Pilotenausbilder bei der Roten Armee und Mitglied von deren Kunstflugstaffel. Noch heute führt er gerne vor, dass er nichts verlernt hat. Nach der Unabhängigkeit seines Landes stieg der Ingenieur Paksas in die Baubranche ein und schloss sich der konservativen Vaterlandsunion an. Seine Popularität in der Bevölkerung stellte er durch den zweimaligen Sieg bei der Bürgermeisterwahl der Hauptstadt Vilnius – 1997 und 2000 – unter Beweis.

Die beiden Amtsperioden als Ministerpräsident blieben kurz. 1999 ging er nach vier Monaten aus Protest gegen den „als Verschleuderung unseres Tafelsilbers“ bewerteten beabsichtigten Verkauf der staatlichen Ölraffinerie an einen US-Konzern. Er verließ auch seine Partei, setzte seine politische Karriere aber als Chef der rechtsliberalen „Liberalen Union“ fort. Paksas gilt als Repräsentant der einheimischen Wirtschaft, die sich von einem Ausverkauf der Schlüsselbranchen – Telekom, Bankenwesen, Schifffahrt, Energieversorgung – an ausländisches Kapital bedroht sieht. Er gewann die Wahl mit der Botschaft, die „nationalen Interessen“ besser zu verteidigen, und warf Adamkus vor, Repräsentant der US-Wirtschaftsinteressen zu sein.

Mit dem Versprechen, auch etwas gegen die sozialen Klüfte in der Gesellschaft zu tun, gewann er die Wahl vor allem in den populären Fernsehdebatten. Überhaupt war er der Mann der Medien. Die Boulevardzeitung Lietuvos Zinios quoll täglich von Lobartikeln für Paksas über. KritikerInnen beschuldigten ihn, in seiner Kampagne das Vier- bis Fünffache des Betrags ausgegeben zu haben, den er gegenüber der Wahlkommission als offizielles Wahlkampfbudget genannt hatte. Paksas siegte mit Botschaften, die ihm den Vorwurf einbrachten, ein Populist auf den Spuren westeuropäischer Vorbilder zu sein. So machte er sich die Unzufriedenheit mit den Ergebnissen der EU-Beitrittsverhandlungen zu Eigen und kündigte an, als eine seiner ersten Amtshandlungen nach Brüssel zu reisen, um dort Neuverhandlungen vor allem auf dem Landwirtschaftssektor zu erreichen.

Das Staatspräsidentenamt wird Paksas aber nur begrenzte Möglichkeiten einräumen, diese Versprechungen einlösen zu müssen. Neben einer außenpolitischen Rahmenkompetenz beinhaltet es, außer repräsentativen Aufgaben, im Wesentlichen die Befugnis, dem Parlament einen Ministerpräsidentenkandidaten vorzuschlagen.

REINHARD WOLFF