: Blöde Baggerseen
Naturschützer kritisieren den zunehmenden Kiesabbau in Deutschland. Baggerei bedroht Arten und Grundwasser
DORTMUND taz ■ Beim Gedanken an den heimischen Baggersee denken viele an die letzte Sommerromanze, ein erfrischendes Bad in chlorfreiem Wasser oder den Paddelausflug der Schulklasse. Doch Helga Franzkowiak vom Naturschutzbund Nabu verbindet düstere Gedanken mit den künstlichen Seen. Sie spricht von „Kratern in der Landschaft“ und hat dabei Bagger, Lkws und Förderbänder vor Augen. Denn wo heute die begrünten Badeseen angelegt werden, klafften früher große Löcher in der Erde. Rund 380 Millionen Tonnen Kies und Sand gräbt die deutsche Rohstoffindustrie jährlich aus dem Boden. Vor allem am Niederrhein, der Heimat von Helga Franzkowiak, lagert der begehrte Stoff. Und die zuständige Bezirksregierung Düsseldorf will den Baggern zusätzliche Flächen bieten.
Der Regionalrat in Düsseldorf wird am Donnerstag voraussichtlich beschließen, dass rund 1.000 Hektar in den nächsten dreißig Jahren für die Gewinnung von Kies und Sand am Niederrhein zur Verfügung stehen. Dadurch soll der Rohstoffbedarf der Bauindustrie sichergestellt werden, die Kies und Sand für die Herstellung von Beton benötigt. Der Nabu will am Donnerstag in Düsseldorf gegen die Entscheidung demonstrieren. „Sand und Kies sollten nur dann genutzt werden, wenn die Stoffe unbedingt gebraucht werden“, fordert Franzkowiak. Schon jetzt graben die Unternehmen am Niederrhein eine Fläche von mehr als 250 Fußballfeldern jährlich um.
Die Baggerarbeiten können den Grundwasserspiegel verändern; zudem wird – zumindest vorübergehend – Lebensraum für Tiere und Pflanzen zerstört. Auch fehlen nach dem Ausbaggern Bodenschichten, die das Grundwasser vor schädlichen Stoffen zum Beispiel aus der Landwirtschaft schützen.
Aus Sicht der Industrie können die Umweltschützer in Düsseldorf allerdings überaus froh sein, dass nicht noch mehr Flächen freigegeben werden. 20.000 Hektar statt der nun bewilligten 1.000 hatte die angemeldet. „Wir haben Zweifel, dass mit der nun festgelegten Fläche die Rohstoffsicherheit gewährleistet werden kann“, sagt Hans-Peter Braus, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands Kies- und Sandindustrie. Da die Baubranche als Hauptabnehmer inzwischen wieder leicht wachse, werde auch der Bedarf an Kies und Sand in den nächsten Jahren ansteigen.
Die ökologischen Bedenken der Umweltschützer teilt Braus nicht. Jährlich würden rund 80 Millionen Tonnen Baumaterialien recycelt, was immerhin rund acht Prozent der Rohstoffe in der Bauwirtschaft abdecke. „Die Unternehmen verpflichten sich außerdem, die Abbauflächen wieder herzurichten. Gerade am Niederrhein hat auch die Landschaft durch unsere Projekte gewonnen.“ Trotzdem kann man wohl sagen: Das versprochene Baggersee-Idyll der Zukunft wird die Bevölkerung der betroffenen Abbauregionen heute kaum zufrieden stellen.
MORITZ SCHRÖDER