: Farben der Provinz
Der Himmel öffnet sich, wenn man aus der Großstadt aufs Land fährt. Die Landschaft in deutschen Provinzen ist herrlich bunt, überall lächeln Gartenzwerge aus den Vorgärten der Einfamilienhäuser. Und doch breitet sich mancherorts auf dem Lande Unbehagen aus, irritiert eine Farbe, die im Regenbogen nicht vorkommt: Braun. Immer wieder versucht sie, sich in den Kommunen zu etablieren. Überteuerte, baufällige Anwesen werden von braunen Bürgern erworben, braungefärbte Initiativen ins Leben gerufen. Das Braun bereitet nicht nur den Ost-Deutschen Sorgen, sondern momentan auch den Bayern. Mit Direktmandaten versucht beispielsweise die NPD bei den kommenden bayerischen Landtagswahlen zu punkten. Der Kampf um „Straßen, Köpfe, und Parlamente“ schreitet unermüdlich voran, die Braunen pokern sogar mit der Farbe Grün, „Genfood nein danke!“ war auf dem ersten Wahlkampfflugblatt der NPD in der bayerischen Provinz zu lesen. Schon lange sind die grauen Großstädte für die Braunen nicht interessant, sie versuchen in den naturfarbenen Provinzen Stimmen und Mitlieder zu gewinnen. Neue Strategie der Braunen ist, über zivilgesellschaftliches Engagement in die Mitte der Gesellschaft anzukommen. Sie wollen nicht mehr auffallen, sie versuchen stattdessen sich im Identitätsbewusstsein der Menschen und ihren Lebenswelten zu positionieren. Vor allem in Regionen, wo die Bewohner von gesellschafltichen Veränderungen am meisten betroffen sind, versuchen sie mit völkischen Sozialismus-Konzepten neue Mitglieder zu werben. Die aktive Unterwanderung wird seit Jahren – meist unbemerkt – gerade von rechtsextremen Frauen vollzogen. Sie engagieren sich, um in „Einklang mit der Natur nach Harmonie in der Gemeinschaft zu streben“, wie Stella Hähnel auf der Webseite des „Rings Nationaler Frauen“ (RNF) propagiert. Die braunen Frauen üben keine „harte“ Politik aus, dafür sind bei der NPD nach wie vor eher Männer verantwortlich. Die weiblichen Mitglieder sind für die „weichen“ Gemeindeaufgaben zuständig. Sie betreiben Gaststätten, engagieren sich in Elternvereinen, kaufen im Bioladen ein und gründen Heimat- und Umweltvereine. Sie offerieren emotionale Zugehörigkeit, Gruppenloyalität – all diese von manchem in der Modernisierung schmerzlich vermissten „Werte“. In Sachsen, Hessen oder Rheinland-Pfalz wird längst ohne Berührungsängste braun gewählt. Braune Bürgermeister arbeiten im richtigen Leben als Fahrschullehrer oder Klempner, ihre Frauen sind die netten Nachbarinnen von nebenan. Dieses braune Engagement ist dafür verantwortlich, dass eine innere Inklusion dieser Gemeinden auf sozialer und politischer Ebene erfolgt und gleichzeitig eine Exklusion, eine Abgrenzung nach außen, stattfindet.In all diesen kleinen Gemeinden, vor allem in Ost-Deutschland, entstand nach der Wende durch den zunächst plötzlichen und dann schleichenden Rückzug des Staates ein infrastrukturelles Vakuum: Dort wo früher der Staat in Form von Organisationen und Veranstaltungen allumfassende Präsenz gezeigt hatte, fühlte sich nun niemand mehr verantwortlich – es gab auch kein selbstbewusstes Bürgertum, das ad hoc in der Lage gewesen wäre, diese Lücke zu füllen. Die Braunen agitieren dort inmitten von Bauern, Arbeitern, Arbeitslosen und Besserverdienern, schaffen Tatsachen. Die „Politikverdrossenheit“, das Misstrauen gegenüber den etablierten demokratischen Parteien ist gerade in diesen Regionen ein funktionaler Anknüpfungspunkt für braune Propaganda. Hier vor Ort, weitab vom zwangsläufig vielfältig-bunten, unübersichtlichen Geschehen der Städte, versuchen die wenigen Mitglieder der Braunen einen Gesinnungswandel herbeizuführen. Ihr Erfolg ist dennoch nur mäßig bemessen, denn in Regionen, in denen seit Jahrzehnten Musik- und Schützenvereine für einen Zusammenhalt der Provinzgemeinschaft sorgen, können die „Braunen“ schlechter landen. Dort ist die Farbe Braun eine sehr langweilige Farbe. Die Mehrheit der Provinzler begeistert sich nämlich neben der Modefarbe Grün und Rot vor allem für die Farbe Schwarz. Laut Wahlforschungs-Instituten erreicht die CDU/CSU in kleinen bis mittleren, ländlich geprägten Wahlkreisen durchschnittlich rund 44 Prozent. Den schwarzen Rekord hält das bayerische Dorf Balderschwand. Dort erhielt die CSU 1996 bei den Kreistagswahlen 100 Prozent. JADRANKA KURSAR