: Die soziale Klebekraft des Lehms
In einer Altonaer Einkaufsstraße bauen Kinder an riesigen Lehm-Skulpturen. Das Projekt des Vereins „Bunte Kuh e.V.“ soll Teamwork fördern und kulturelle Grenzen sprengen. Die Kinder bekommen das Gefühl, Teil von etwas Großem zu sein
VON ROBIN RIEPRICH
Es gibt schönere Orte in Hamburg als den Goetheplatz nahe des Altonaer Bahnhofs. Die Straße liegt betongrau, verfallen und dreckig da. Der Club Hafenklang ist hier, mit seinen verschmierten Wänden und abgewetzten Plakaten, und ein überfüllter Discount-Bäcker. Es ist erstaunlich, wie viel Farbe ein paar Haufen brauner Ton in die triste Gegend bringen.
Von weitem könnte man das Lehmbau-Projekt des Hamburger Vereins „Bunte Kuh e.V.“ für eine gewöhnliche Baustelle halten. Doch zwischen Bauzaun und Dixiklos sind nicht etwa bierbäuchige Bauarbeiter beschäftigt, sondern ein wuseliger Haufen Kinder, der dabei ist, zwei riesige Bauwerke aus Lehm, einen Dinosaurier und eine Pyramide, zu erschaffen.
Der Künstler und „Bunte Kuh“-Projektleiter Nepomuk Derksen begrüßt am Bauzaun eine Gruppe neu angekommener Kinder. „Diese Bauwerke waren mal ganz klein“, erzählt er den Knirpsen, die ehrfürchtig an den Lehmbauten hinaufschauen. „Doch dann haben ganz viele Kinder mitgeholfen, und seht, was sie geschafft haben.“ In der Tat sind der Stegosaurier und die seesternartige Pyramide bereits so sehr gewachsen, dass sie die Körpergröße der fleißigen Arbeiter um ein Vielfaches übertreffen.
Bevor sich die Gruppe an die großen Bauwerke machen darf, werden zusammen mit den erwachsenen Künstlern erst einmal kleine Lehmfiguren geknetet. Die Neuankömmlinge beäugen kritisch die Werke ihrer Vorgänger, die unter weißen Partyzelten stehen. Es sind Hunderte kleiner Lehmkunstwerke, darunter Schildkröten, Burgen, Pinguine und Drachen. Aliens und Spongebob, die man vielleicht von fernsehverdorbenen Jungkünstlern erwartet hätte, fehlen.
An der Baustelle sind einige Kinder sicherheitshalber in Regenjacke und Gummistiefel verpackt. Die meisten Neuankömmlinge gehen sofort motiviert an die Arbeit und sind nach wenigen Minuten voller Lehm. Nur eine Gruppe Zehnjähriger in teuren Markenklamotten steht lässig vor dem Haufen mit der klebrigen, braunen Substanz. „Nee, das ist mir viel zu dreckig“, quietscht ein Mädchen, die anderen nicken zustimmend. „Die Lauten werden ganz ruhig, wenn sie erst einmal angefangen haben mitzuhelfen“, prognostiziert „Bunte Kuh“-Praktikantin Sabine Tobie. Und tatsächlich entwickeln auch die Vorpubertären in Markenklamotten nach einer Weile Sandkastengefühle.
Die Künstler der „Bunten Kuh“ geben den kleinen Baumeistern Tipps und kontrollieren den ordnungsgemäßen Nachbau der 20 Zentimeter großen Vorlagen, die ebenfalls von Kindern stammen. Während ein Mädchen im rosa gepunkteten Kleid das Material vorsichtig und liebevoll an den halben Saurier schmiegt, drischt ein braunhaariger Junge bereits seit fünf Minuten auf den Lehm ein, der auf seinem Tisch liegt. „Hast du noch nicht richtig geboxt heute?“, fragt eine Erzieherin den Jungen, doch dieser überhört sie und schlägt weiter.
Einige Kinder können kaum laufen und plantschen in den herumstehenden Wassereimern, andere tragen coole Caps und Mini-Tarnhosen. Viele haben offensichtlich Migrationshintergrund, doch alle Unterschiede scheinen hier unerheblich zu sein.
Vormittags bauen vor allem Grundschüler und Kindergartengruppen, nachmittags lockt die gute Lage des Projektes auch Passanten an. Viele Eltern sind nach kurzer Zeit fast ebenso lehmverschmiert wie ihre Sprösslinge. Auch Architekturstudenten sollen schon beim Mithelfen gesichtet worden sein. „Schade, heute haben wir‘s noch nicht ganz fertig geschafft“, ruft ein enttäuschter Junge, als ihn seine Lehrerin zum Gehen auffordert und ihn fast mit Gewalt vom Dinosaurier herunterholen muss.
Die „Bunte Kuh“ konzentriert sich auf soziale Brennpunkte, der Verein organisierte Lehmbau-Projekte im Schanzenpark und in Berlin-Kreuzberg. „Das Projekt zeigt den Kindern, was es bedeutet, im Team etwas zu erschaffen“, sagt Derksen. „Die soziale und kulturelle Klebekraft des Lehms“ nennt er das.
Viele Kinder kämen jeden Tag, sagt die Praktikantin Tobie. Gemeinsam zu sehen, wie die Bauwerke wachsen, bringe ihnen Erfolgserlebnisse, die ihnen in der Schule oft verwehrt blieben.
Immer wieder wird neuer Lehm herangeschafft. Die Kinder haben viel zu tun, schließlich wird am Sonntag ein großes Fest gefeiert. Bis dahin sollen die Kunstwerke fertig werden.
Fest zum Abschluss der Bauphase am Sonntag ab 15 Uhr, Ausstellung der Bauwerke vom 22. bis 27. September, 14 bis 18 Uhr, Große Bergstraße/Goethestraße