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Archiv-Artikel

Biathlon auf der Welle

Die deutschen Skijägerinnen waren in dieser Saison eigentlich für die Topplätze im Weltcup vorgesehen. Bisher allerdings überzeugen sie lediglich durch eine geschlossene Team-Leistung

aus Oberhof MARKUS VÖLKER

Am Schießstand hat Uschi Disl das Denken überfallen. Sie weiß: „Das ist ganz schlecht.“ Nichts ist misslicher, als am neuralgischen Punkt des Biathlons in ein Netz von Assoziationen und Gedankenschleifen zu geraten. Aber je mehr man sich gegen den Gedankenwust sträubt, desto unkontrollierbarer wird er. „Ich bemühe mich wirklich“, sagt die 32-Jährige über ihr Dilemma am Schießstand, „aber es klappt einfach nicht.“ Die Trainer gaben ihr den Rat, auch Kolleginnen und die Eltern: Uschi, schalt einfach ab! Aber der Schalter geht immer wieder an. Diesmal bereitete der Wind Sorgen, „der vermeintliche Wind“, wie sie später sagt.

Es wehte kaum im Oberhofer Stadion am Grenzadler, aber Disl schraubte wie wild an der Feinjustierung ihrer Waffe. Sechsmal klackte das Raster nach links. Trotzdem gingen liegend drei Schüsse rechts vorbei. Danach war das Rennen beendet. Vom Kopf her. Die Beine taten zwar noch ihren Job, aber auch nicht mehr richtig. „Mit drei Fehlern schließt man innerlich ab, da landet man eigentlich nirgendwo mehr.“ Für Olympiasiegerin Disl beginnt das Nirwana bei Platz 20. Im Sprintrennen über 7,5 Kilometer, wo das Schießen noch wichtiger ist als in den übrigen Rennen, landete sie im Niemandsland. Spötter hatten ihr schon nach den schlechten Schießleistungen zuvor nahe gelegt, sie solle doch zum Langlaufsprint wechseln (siehe taz von Donnerstag). „Das war eine Zeitungsente“, sagt Disl verärgert.

Die Scheiben zu treffen, beschreiben die Trainer, ist im Biathlon ungefähr so schwer wie nach dem Treppenrennen auf das Empire State Building ein Streichholz auf der Nase zu balancieren. Andrea Henkel hat den Balanceakt am Mittwoch fehlerfrei hinbekommen –und wurde Vierte. Danach rangierten Katrin Apel, Kati Wilhelm und Simone Denkinger (8.), die damit wie ihre Kolleginnen die WM-Norm erfüllte. Das Podest aber bestiegen andere, weswegen Bundestrainer Uwe Müßiggang zu bedenken gab, er sei zwar mit der Mannschaftsleistung zufrieden, erwarte aber eigentlich, dass immer eine aufs Siegerpodest komme. Zumal ja Magdalena Forsberg aufgehört hat.

Die Schwedin gewann zuletzt sechsmal in Folge den Weltcup. Und auch die Norwegerin Liv Grete Poireé ist wegen einer Babypause in diesem Winter nicht dabei. Da schien es nur logisch, dass die deutschen Zweikämpferinnen die frei gewordenen Plätze einnehmen. Doch nicht Disl, Henkel oder Wilhelm sind derzeit an der Spitze, die Bulgarin Ekaterina Dafovska und die Französin Sylvie Becaert haben sich vorgedrängelt. „Deren Konstanz überrascht uns schon“, sagt Müßiggang. Mit dem Weltcup-Gesamtsieg für eine seiner Frauen rechnet er nicht mehr. Bleibt die WM im März in Khanty Mansiysk, 2.100 Kilometer nordöstlich von Moskau gelegen.

„Spätestens dort wollen wir was zeigen“, sagt Andrea Henkel, Olympiasiegerin von Salt Lake City und im vergangenen Winter die Konstanteste in Müßiggangs Kader. Auch sie hatte sich gewiss mehr ausgerechnet in diesem Winter, doch nach den ersten Weltcups meint sie nun, es sei „reiner Blödsinn“ gewesen, von den Läuferinnen des Deutschen Ski-Verbands die Eroberung der Biathlon-Krone zu erwarten. So bleiben sie vorerst eine Hegemonialmacht in Lauerstellung. „Die anderen gibt’s auch noch“, verweist Henkel auf die Konkurrenz. Sie sagt aber auch: „Wir sind sehr konstant, und man kann immer mit uns rechnen.“

Was derzeit für Uschi Disl nicht zutrifft. Nach dem Lauf wirkt sie so abgespannt, als hätte sie sich am Schießstand gedanklich vollkommen verausgabt. Auch sie galt als eine Anwärterin auf die Nummer eins der Szene, nun spricht sie in müden Worten davon, wie schlapp sie sich fühle nach einer erst kürzlich überstandenen Erkältung. „Ich hatte mir heuer eindeutig mehr vorgenommen, aber es hat noch nix richtig geklappt.“ Sie übertreibt etwas. Ein dritter Platz ist in Osrblie schon herausgesprungen. Und die Trainer sagen ohnehin, sie solle sich nicht verrückt machen lassen. Disl meint lapidar, mit der Leistung gehe es eben mal hoch und runter, „wie eine Wellenbewegung“. Auf diese Amplituden hätten die deutschen Biathletinnen gerne verzichtet.