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Archiv-Artikel

Die Welt ist mein Song

Mit den Kings Of Convenience begründete der Norweger Erlend Øye vor zwei Jahren das New Acoustic Movement. Inzwischen wohnt er in Berlin und beweist mit seinem Solo-Album „Unrest“, wie ungebunden und schön elektronische Popmusik sein kann

von GERRIT BARTELS

Wer in New York wohnt, in London oder auch in Berlin, kann es sich vielleicht gar nicht vorstellen. Aber es soll Leute geben, die haben überhaupt keine Lust, in Metropolen zu ziehen und dort zu leben. Die bleiben lieber in der Provinz, bei ihren Leisten und ihrer Familie. Zu dieser Spezies gehören auch Musiker. Zum Beispiel Eirik Glambek Bøe von der norwegischen Band Kings Of Convenience. Diese begründete vor zwei Jahren mit ihrem Album „Quiet Is The New Loud“ weltweit ein so genanntes new acoustic movement und markierte Norwegen fett und rot auf der Popmusik-Weltkarte.

Wie es aber meist mit sich plötzlich artikulierenden und neu entdeckten Szenen in entlegenen Weltgegenden so ist, heißen sie nun Norwegen oder Neuseeland: Sie werden gefeiert, aber die Karawane zieht schnell auch weiter. Den einen ist das egal, vielleicht sogar recht, die studieren in ihrer Heimatstadt lieber Psychologie, statt Profimusiker zu werden, so wie Eirik Glambek Bøe. Andere aber glauben, dass man sich nur ausprobieren, weiterentwickeln und Erfolg haben kann, wenn man sich in der Welt umtut. Womit wir bei Erlend Øye wären, dem anderen Musiker von Kings Of Convenience. Der gibt in Interviews gern zu Protokoll, keine Lust gehabt zu haben, von seinem schollengebundenen Partner abhängig zu sein. Er wollte nicht nur darauf warten, mit diesem in irgendeiner fernen Zeit wieder ein Kings-Of-Convenience-Album aufzunehmen, das wieder so klingt wie „Quiet Is The New Loud“. Øye wollte weiter. Also zog es ihn weg aus Norwegen, nach Berlin. Primär jedoch nicht, weil es ihm ein Berlin-typischer Sound angetan hatte, sondern weil es hier für eine Großstadt verhältnismäßig billigen Wohnraum gibt. Nun ja.

Für sein erstes Soloalbum hat Øye seinem Getriebensein in vielerlei Hinsicht Ausdruck gegeben: „Unrest“ heißt das Album sinnigerweise, denn seine zehn Stücke wurden in zehn Städten mit zehn Produzenten elektronischer Musik aufgenommen: von Morgan Geist bis Schneider TM, von den Op:l Bastards bis Björn Tonske, um nur einige zu nennen, in New York, Turku, Rom, Rennes oder Berlin. Dazu zeichnet die Stücke eine smarte Mischung aus Song und Elektronik aus, die man, um im Øye-Kosmos zu bleiben, auch schon beim Kings-Of-Convenience-Album „Versus“ kennen und schätzen gelernt hat. Wurde für „Versus“ aber das schon bestehende Songmaterial erst im Nachhinein elektronisch frisiert, so mussten sich für „Unrest“ Øye als Sänger und Ideengeber und seine ausgewählten Elektronikmusiker erst zusammenraufen.

Herausgekommen ist trotzdem ein Album, das wie aus einem Guss klingt. Das liegt natürlich daran, dass Øyes Stimme gleichbleibend sanft und vor allem passioniert melancholisch über allen Songs schwebt: Øye geht es um die Einsamkeit in den Städten, die moderne Entwurzelung. Darum, Trost zu spenden, aber auch von ihrer Notwendigkeit überzeugt zu sein. Und es liegt wohl auch daran, dass sich alle Musiker wirklich Mühe gegeben haben, um Øye genauso schön schwebende Mid-Tempo-Tracks auf Leib und Seele zu schneidern – schwer vorstellbar, dass zum Beispiel ein Aphex Twin die Musik für einen Øye-Song produziert. Oder Westbam. Oder Jeff Mills.

Einige Ältere dürfte „Unrest“ an das großartig smoothe Album „Happiness“ der britischen Band The Beloved erinnern. Diese begann in den 80ern mit psychedelischem Noise-Pop, um dann 1990, beeinflusst von der britischen Rave-Bewegung (in der sich seinerzeit schon Gitarrenbands mit House-Produzenten zusammentaten!), mit „Happiness“ eines der flauschigsten und zauberhaftesten Dance-Pop-Alben der 90er zu produzieren.

War aber dieses Album ein ortsgebundenes und an eine Szene gekoppeltes Sommeralbum, so dokumentiert Øye, wie sehr sich die Musik inzwischen von den Orten, wo sie produziert wird, gelöst hat. Wer da, wie Karl Bruckmayer in der SZ, gleich mit der Keule „von der Heimholung der stillen Vettern aus Trondheim, Oslo, Bergen in den euro-amerikanischen Einheitssound“ kommt, hat allerdings von der skandinavischen Popmusik, egal ob aus Finnland (22 Pistepirko!), Schweden (The Ark, Escobar) oder Norwegen (Röyskopp, Tellé, Øye) nur wenig verstanden. Denn das Schöne an ihr ist ja gerade, dass sie sich den „euro-amerikanischen Einheitssound“ schon immer zwanglos angeeignet hat, um trotzdem was sehr Eigenständiges draus zu machen. Das ist bei Øyes „Unrest“ nicht anders, da klingen Kings Of Convenience trotz allem mit durch. Für so ein Album muss man die Heimat aber schon mal verlassen – Eirik Glambek Bøe sei großer Dank!

Erlend Øye: „Unrest“ (Virgin/Labels), erscheint Anfang Februar. Heute tritt Øye mit Sascha Steinfurth und „two crazy finnish people“ in der Kopierbar auf, Rosenthaler Straße 71, Mitte