berlin im bus : Irrfahrt to go
Der Bus 100 ist Kult. Seit der Wende chauffierte er Millionen Berlin-Touristen vom Bahnhof Zoo zum Alexanderplatz, vorbei an Brandenburger Tor und Museumsinsel, durch das Regierungsviertel und entlang der Prachtstraße Unter den Linden. Kein Reiseführer, in dem er nicht erwähnt wird als günstige und authentischere Alternative zur offiziellen Sightseeingtour. Und wenn man Glück hat, erzählt einem der Busfahrer mit stolz geschwellter Brust von den Sehenswürdigkeiten seiner Stadt – natürlich auf Berlinerisch.
Das wird in Zukunft nicht nötig sein, vielleicht sogar unerwünscht. Denn seit Dienstag bietet der Audioguide-Hersteller „Culture to go“ eine Führung für die Buslinie 100 an, die sich jeder für 9,90 Euro auf seinen MP3-Player laden kann.
Das Konzept: Berliner Kultur soll von Berliner Kulturschaffenden vermittelt werden. So erzählt Martin Germer, Pfarrer der Gedächtniskirche, von deren Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg, der Kunsthistoriker Adrian von Buttlar referiert über den Bauwirtschaftsfunktionalismus der 60er-Jahre, und Christina Aue, Geschäftsführerin des Fernsehturms, lädt in ihr Restaurant im höchsten Gebäude der EU ein, das selbst bei starkem Wind höchstens 15 Zentimeter hin und her schwanke.
So sind die Audiobeiträge teils sehr speziell, teils charmant, aber immer sehr lang – und der Berliner Verkehr unberechenbar. Eigentlich ist der Guide auf die normale Fahrzeit der Linie 100 ausgerichtet. Aber was ist schon normal? Da steht man noch vor dem Reichstag im Stau, während der Direktor des Adlon schon von der Tradition seines Hotels schwärmt. Oder man sucht das Deutsche Historische Museum an der Ecke Friedrichstraße. So bleibt einem nichts anderes übrig, als den Guide manuell zu verstellen. Wenn man doch nur wüsste, wo man gerade ist. Da hilft auch der Plan, den man sich zusätzlich herunterladen und ausdrucken kann, nicht immer weiter. Der Hersteller erklärt, die Führung sei für „deutschsprachige, kulturell interessierte Individualreisende“ gedacht, aber ohne die Hilfe eines kundigen Berliners oder gründliche Vorbereitung dürfte sich jeder Berlin-Tourist auf seiner ersten Rundfahrt mit dem Bus 100 schnell verloren fühlen.
Zum Glück kann man die Fahrt so oft machen, wie man will, hat man die Datei erst einmal heruntergeladen. Und wie bei herkömmlichen Sightseeingtouren kann man die Tour an jedem beliebigen Punkt der Stadt beginnen und jederzeit ein- und aussteigen.
Und vielleicht sind so der Busfahrer und die Einheimischen doch nicht ganz überflüssig. Sie können die Aufgabe übernehmen, die der Hersteller leider versäumt hat, nämlich dem Touri sagen, ob er nach der Humboldt-Uni lieber links oder rechts Ausschau halten soll.SOPHIA WISTEHUBE