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Archiv-Artikel

Schlangenbändiger in der Glocke

Mit Liebe zum Detail hat sich Lawrence Renes den gigantischen Aufbauten von Bruckners Achter Sinfonie gewidmet

taz ■ In Bremen begann die systematische Mahler- und Brucknerpflege, als Günter Neuhold die Bremer Philharmoniker leitete. Auch der neue Generalmusikdirektor Lawrence Renes zeigt eine klare Vorliebe für das große spätromantische Repertoire und seine überdimensionalen Werke.

Eingedenk seiner fulminanten Interpretation der neunten Mahler-Sinfonie beim jüngsten Musikfest warteten Klassikfreunde bereits gespannt auf Renes Auseinandersetzung mit der „sinfonischen Riesenschlange“. So hatten Zeitgenossen Anton Bruckners dessen Achte Sinfonie getauft. Die gespaltenen Reaktionen nach der Uraufführung 1892 bildeten getreu den Konflikt zwischen Wagnerianern und Brahms-Apologeten ab. So wollte Starkritiker Eduard Hanslick, Anführer der letzteren, nur einen „traumverwirrten Katzenjammer“ gehört haben.

Diese Sinfonie war einziger Programmpunkt des jüngsten Philharmonischen Konzertes, und innerhalb ihrer souverän disponierten, gigantischen Aufbauten versäumte es Renes nie, Details geradezu kammermusikalisch zu gestalten. Er hatte sich für die zweite Fassung des Werks entschieden. Zudem wählte er jene ungewöhnlich gewordene Orchesteraufstellung, die Bruckner selbst praktiziert hatte: Links hinten die Bässe, davor die Hörner, rechts die Harfen, vorne links die zweiten Geigen, daneben die Bratschen. Mit Grund, denn diese Aufstellung entspricht klanglich optimal dem Brucknerschen, der Orgel nachempfundenen „Registerdenken“.

So entstand eine überzeugende Synthese aus formaler Stringenz und Detailschärfe aber auch Spontaneität. Wohltuend war zumal der Verzicht auf künstliches Pathos: Geradezu notwendig ist es, zu Bruckners auskomponierten Gefühlskurven einen nüchternen Zugang zu suchen.

Ganz anders als Hanslick endete Wagner-Anhänger Hugo Wolf, selbst Komponist, seinerzeit den Bericht von der Uraufführung. Die Sinfonie sei die „Schöpfung eines Giganten“ befand er. „Der Sturm der Begeisterung“ sei „mit elementarer Gewalt“ ausgebrochen. Vielleicht war er nicht elementar. Doch von einem Sturm der Begeisterung darf auch in Bremen gesprochen werden.

Ute Schalz-Laurenze