: „Den Heimatfilm neu definieren“
Ingo Haeb hat das Drehbuch zu dem Film „Die Schimmelreiter“ geschrieben. Wie bei „Am Tag als Bobby Ewing starb“ führte auch hier wieder Lars Jessen Regie. Am Sonntag läuft die liebevolle Hommage an den Norden beim Filmfest Hamburg
taz: Herr Haeb, statt um den Deichgrafen geht es in „Die Schimmelreiter“ um Lebensmittelkontrolleure in Dithmarschen. Wie sind Sie auf so eine Idee gekommen?
Ingo Haeb: Ich habe in meiner Schulzeit ein Praktikum bei der Lebensmittelkontrolle gemacht und viele Ideen aus dem Film kommen noch da her. Außerdem ist Dithmarschen wohl der kulinarische Abgrund Deutschlands. Darum fanden wir es stimmig, dort einen Lebensmittelkontrolleur hinzuschicken.
An wen haben Sie bei „Die Schimmelreiter“ gedacht? An Komödienfans oder an Freunde des anspruchsvollen Kinos?
Ursprünglich sollte es ein Film werden, der keine direkte politische Affinität hat oder unmittelbar gesellschaftskritisch ist, sondern der die Menschen zum Lachen bringt. Im Nachhinein ist er dann doch etwas düsterer geworden. Der Film hat eine ernsthafte Grundthematik, mit der ich sehr gerne arbeite: In Person der beiden Hauptfiguren lasse ich Altruist und Egoist aufeinander prallen. Die Thematik haben wir natürlich populär verarbeitet, aber mit einem witzigen Unterton. Auch wenn wir schwierige Personen darstellen, kann man darüber lachen, genauso wie man bei „Am Tag als Bobby Ewing starb“ …
… zu dem Sie ebenfalls das Drehbuch geschrieben haben …
… auch trotz Atomkraft und Tschernobyl lachen darf. Genauso verhält es sich mit den Figuren in „Die Schimmelreiter“. Der Lebensmittelkontrolleur Fuchs gibt sich mit wenig zufrieden und und guckt nicht über den Tellerrand hinaus. Sein Kollege Tillman dagegen gibt sich als aggressiver Holzklotz. Eigentlich war der Film als eine reine Komödie konzipiert, aber ich scheitere immer wieder daran, eine reine Komödie zu schreiben. Letztendlich möchte ich das Lachen aufbauen, um es ersticken zu sehen.
Die Idee ist nichts Neues: Zwei gegensätzliche Charaktere werden nebeneinander gestellt, arbeiten sich aneinander ab, und daraus entstehen komische Situationen.
Klar, sehr viele Geschichten funktionieren so, Laurel und Hardy, Walter Matthau und Jack Lemmon. Wir behaupten ja gar nicht, dass wir da Neuland betreten. Wenn man einen Film macht muss man sich überlegen, ob man etwas ganz spezielles macht, was sich am Ende 300 Leute ansehen, oder etwas das viele Leute erreicht. Man muss bedenken, dass „Die Schimmelreiter“ ein Low-Budget Film ist. Es sind kaum Gagen gezahlt worden. Aber für einen guten Film braucht man nicht unbedingt mehr als zwei Typen und ein Auto. Und natürlich Dithmarschen.
Beim Filmfest läuft der Film unter der Rubrik „Heimatfilm“.
Sicher stellt man sich unter einem klassischen Heimatfilm etwas anders vor. Aber ich habe schon bei „Bobby Ewing“ zusammen mit dem Regisseur Lars Jessen versucht, den Heimatfilm neu zu definieren. Lars Jessen und ich sind beide im Norden verwurzelt. Man sieht dem Film an, dass er Friesland liebevoll darstellt, und zwar nicht nur die Landschaft, sondern vor allem die Menschen, wie sie sich verhalten, wie sie sprechen. Also kann man schon von einem Heimatfilm sprechen.
Kann man das Verhältnis der Charaktere zum Norden als eine Art Hassliebe bezeichnen?
Die Charaktere wollen nach Hamburg, können aber auch nicht loslassen von Dithmarschen. Viele der lokalen Figuren sind genau den Menschen nachempfunden, die Lars Jessen in seiner Jugend in Dithmarschen erlebt hat.
Neben Ihrer Tätigkeit als Autor sind Sie auch Professor an der Hamburger Hochschule für Bildende Küste. Wie bekommen Sie beide Jobs unter einen Hut?
In den Semesterferien kann ich mich ab und zu zurückziehen, wenn ich Zeit für die Filme brauche. Ich brauche aber schon rein finanziell die Professur als zweites Standbein. Wenn ich die Professur nicht hätte, könnte ich nur leben, wenn ich parallel entweder Werbung oder Serien schreibe. Da arbeite ich doch lieber mit meinen Filmstudenten.
INTERVIEW: ROBIN RIEPRICH
Fotohinweis:INGO HAEB, 38, studierte Geologie, Ozeanografie und Meteorologie, bevor er begann Kurzfilme zu produzieren. Nach seinem Filmstudium an der Kunsthochschule in Köln ist Haeb nun selbst Professor für Drehbuch und Dramaturgie an der HFBK in Hamburg. FOTO: TOM TRAMBOW