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Archiv-Artikel

Ping Pong mit Putzmadonna

Nicht nur feministische Ikone: Eine große Retrospektive in der Berliner Akademie der Künste stellt das Werk VALIE EXPORTs vor und macht mit einer der bedeutendsten lebenden Künstlerinnen bekannt

von HENRIKE THOMSEN

VALIE EXPORT hat sich in Glasscherben gewälzt, sich durch elektrisch geladene Drähte gezwängt oder ihre Brüste wildfremden Passanten zum Begrapschen freigegeben. Oftmals benutzte die österreichische Künstlerin bei ihren Performances in den Siebzigerjahren hochgradig symbolträchtige Materialien wie Rosendornen, Nägel und Wachs, die auf erlittene Gewalt und den Masochismus der Frauen anspielten. Eine Tatooaktion, bei der sie sich einen Strumpfhalter in den Oberschenkel sticheln ließ, garnierte sie mit einem politischen Kommentar zur „Versklavung der Frau“. Ein anderes Mal führte sie einen später einflussreichen Kurator an der Leine spazieren. Kein Wunder also, dass Export vielen als Ikone feministischer Körperkunst in Erinnerung geblieben ist, ähnlich wie Niki de Saint Phalle, Marina Abramovic, Carole Schneemann und Hannah Wilke.

Eine große Werkschau in der Akademie der Künste, kuratiert von der Neuen Gesellschaft für Bildende Kunst in Berlin, hilft dieses Bild zu korrigieren. In der ersten Quasiretrospektive (die 62-jährige Geehrte meidet lieber den Begriff) in Deutschland wird Export als eine der „weltweit bekanntesten und einflussreichsten Medienkünstlerinnen“ nach dem Zweiten Weltkrieg vorgestellt. Tatsächlich erwarten den Besucher ausschließlich Fotos, Fotocollagen, Videos sowie Installationen mit neuester Laser- und Soundtechnologie. Körnige Schwarz-Weiß-Bilder, oft zusätzlich mit Schrift oder abstrakten Linien verziert, dominieren die drei Hallen im Obergeschoss der Akademie. Schon von weitem grüßt so die strenge Ästhetik der Konzeptkunst und macht deutlich: Wer sinnliche Trancen erwartet, liegt hier falsch. Bei Export herrscht ein klarer Geist.

Wirklicher Spielfilm

Wer ihren Werdegang ein wenig näher kennt, wird davon freilich nicht überrascht sein. Seit mehr als einem Jahrzehnt lehrt die theoretisch Versierte Medien- und Performancekunst, zuerst an der Berliner Universität der Künste, seit 1995 an der Kunsthochschule für Medien in Köln. Zu ihrem Werk gehören drei Spielfilme, von denen „Die Praxis der Liebe“ 1985 für einen Goldenen Berlinale-Bären nominiert war. In den Siebzigern gehörte sie zu den Mitbegründern des „Expanded Cinema“, einer von der Medienkritik Brechts und Habermas’ inspirierten Bewegung junger Künstler in Wien, die auf eine „Umkehr des Herrschaftsverhältnisses von Produzent und Konsument“ zielten.

Heute wirkt das theoretische Rüstzeug aus Anthropologie, Semiotik und Psychoanalyse, mit dem die Künstlerin in Kommentaren über die richtige Interpretation ihres Werks wacht, eher überanstrengt. Dennoch beweist die Rückschau, dass Exports Arbeiten viel mehr sind als Illustrationen zum Politdiskurs über kulturelle Wahrnehmung und Selbstinszenierung, über Gewalt, Identität und Geschlechterfragen. Ohne je virtuos zu wirken, bedienen sie sich der verschiedensten künstlerischen Verfahren für ihre ganz eigenen Ziele. Dem Surrealismus nahe stehen großformatige Montagen von Gesichtsfragmenten mit ebenso frei schwebenden Architektur- und Schriftzitaten wie im „Salzburger Zyklus“ von 2001. Der Fluxus-Philosophie verbunden zeigen sich Arbeiten, die ironisch mit der Bedeutungsproduktion von Kunst spielen. „Ping Pong“, eine der ersten viel beachteten Video-Installationen der Künstlerin, von 1968, lädt den Betrachter ein, mit Tischtennisbällen die schwarzen Punkte zu treffen, die über den Bildschirm wandern – ein Spielfilm im wahrsten Sinne des Wortes. Zugleich aber ist „Ping Pong“ ein frühes Beispiel für die interaktiven Kunstwerke, die in den Neunzigerjahren mit großem Computeraufwand in Mode kommen sollten.

1967 legte sich die gebürtige Linzerin und Designstudentin an der Höheren Bundeslehr- und Versuchsanstalt für Textilindustrie in Wien das Pseudonym Valie Export zu. Ihre „natürliche“ Person verschwand hinter einem Logo, das sie jeder Arbeit aufstempelte und das sie im Pop-Art-Verfahren subversiv nutzte. Halb Bond-Girl, halb Zigarettenfee grüßt heute ein Selbstporträt mit dem in Versalien herausgehobenen Markennamen über der Treppe zur Ausstellung.

Tatsächlich also begann sich Export mit der Unerreichbarkeit des realen Körpers zu beschäftigen, der hinter seinen Posen und Gesten verborgen bleibe. Besonders den weiblichen Körper analysierte sie vor dem Hintergrund gesellschaftlicher Rollenbilder und setzte sich intensiv mit seiner kunsthistorischen Codierung auseinander. In „Venus Humanitas“ von 1976 ruht ein Fotomodell in moderner Kleidung in der gleichen Haltung wie Botticellis Liebesgöttin, die im Hintergrund zu sehen ist. Eine ganze Fotoserie aus dieser Zeit variiert klassische Madonnen, nachgestellt von Putzfrauen im Kittel. Geschirr, Besteck und Waschmaschinen sind hier die heiligen Attribute. Später sollte die Amerikanerin Cindy Sherman mit solchen performativen Inszenierungen nach Gemälden oder Filmszenen berühmt werden. Und wie bei Sherman klingt bei Export das Motiv der unheimlichen Puppe an, das zuerst Hans Bellmer und Unica Zürn in ihrer Kunst aufbrachten. Der weibliche Körper als Marionette im Geflecht der (patriarchalischen) Blicke und historischen Bezüge – mit dieser Kritik ging Export frühzeitig in die Offensive.

In den Siebzigern zählte Export auch zum berühmten Kreis der „Wiener Aktionisten“. Dieser bot, wie Roswitha Müller in ihrem Katalogbeitrag schreibt, ein herausragendes Beispiel „der emphatischen Rückkehr zum Körper“ in der Nachkriegskunst. Gerade die „Feier des realen Körpers“ stand in den schmerzbetonten und teilweise orgiastischen Performances von Hermann Nitsch, Arnulf Rainer oder Günter Brus im Vordergrund. Eine Export-Performance wie „Hyperbulie“ (1973) reiht sich hier ein. Die nackte Künstlerin kriecht durch einen Gang mit geladenen Drähten, sinkt zu Boden, treibt sich mit ungeheurem Willensakt weiter. „Neu interpretiert, kündigt sich hier der Übergangsritus der Frau aus der Unterdrückung in Richtung Unabhängigkeit und Selbstbestimmung an“, so Müller.

Viele Parallelen gibt es auch zu der Arbeit New Yorker Künstlerinnen wie Schneemann, Wilke, Abramovic oder Yoko Ono. Auch sie setzten den eigenen Körper an Stelle von Leinwand oder Marmorblock, um die symbolische Ordnung der Kunst und des männlichen Blicks zu unterlaufen. Doch Export korrigierte frühzeitig „den Irrtum einer falsch verstandenen Body-Art. Statt mit dem eigenen Körper umzugehen, geht es jetzt darum, seine kulturellen Codierungen auseinander zu nehmen“, hieß es in einer taz-Kritik von Andrea Kern vor zehn Jahren – übrigens zu einer Ausstellung mit dem gleichen Titel wie für die heutige: „Mediale Anagramme“.

Es ist die komplexe Durchdringung von Körper- und Medienkunst, die Exports Werk auszeichnet und gut altern ließ. Formal gesehen liegt seine Eigenständigkeit im Überschichten und Verschachteln kontrastierender Bildelemente: impressionistische Verwischungen gegen scharf gestochene Linien, fragmentarische Körper gegen Panoramen von Stadt und Natur, ein leuchtendes Korallenrot inmitten von Grauabstufungen. Export legt größeren Wert auf den Bruch als auf die Verbindung. Sie verblendet die verschiedensten Perspektiven, doch stets so, dass eine Übersetzungsleistung deutlich wird, die jeder von uns in seiner Wahrnehmung leistet: vom Körperlichen ins Psychische, vom Konkreten ins Abstrakte oder vom Gesellschaftlichen ins Individuelle. Im Sinne Foucaults bildet der Körper bei Export so den zentralen Austragungsort aller Wirklichkeit konstituierenden Diskurse. Am schönsten verdeutlichen dies die 1972 begonnenen „Körperkonfigurationen in der Architektur“. In der Fotoserie baut die Künstlerin sich in die Stadtlandschaft ein. Mal schmiegt sie sich unauffällig an einen Bordstein, mal bildet sie eine schmückende Vedute auf einer großen Freiterrasse. Ob er aber herausragt oder sich anpasst, immer bildet dieser Körper eine Variation auf seine Umgebung, ohne sich komplett in ihr aufzulösen. Er leistet Widerstand mit einer rätselhaften Nachhaltigkeit und Substanz. Vielleicht rührt es daher, dass Export ihn „als eine sich unaufhörlich bewegende Skulptur“ betrachtet: „Es ist eine genetische Skulptur, Milliarden von Jahre alt und trotzdem unvollendet.“

Stromschlag

Der überwiegende Teil der Arbeiten in der Akademie der Künste stammt aus der Frühphase von Exports Karriere. Einige spätere Arbeiten bezeugen eine systematische Fortentwicklung aus den Initialzündungen. „Tatooed tears“ von 1985 etwa zeigt Todesopfer von Stromschlägen neben einem Videoclip der Künstlerin am Hochspannungsmast. „Der Schrei“ (1994) spielt ähnlich paradox wie Munchs berühmtes Bild eher mit einer Angst vor der Lautlosigkeit: Auf einer Videowand sind die Stimmbänder der Künstlerin zu sehen, wie sie qualvoll leise Vogellaute formulieren. Auf der gegenüberliegenden Wand finden die glossolalischen Reden psychisch Behinderter grafische Aufzeichnung. Dazwischen gleiten im grünen Laserlicht tibetanische Schriftzeichen über den Boden, deren Lehre in China verboten ist.

Was sind bloß gesellschaftliche Tabuthemen und was ist tatsächlich unsagbar, nicht machbar? Immer wieder untersucht Export mit einem versteckten, poetischen Existenzialismus solche Grenzfragen, mal zart wie im „Hauchtext“, einem stumm geatmeten Liebesgedicht, mal drastisch, wenn sie mit ausdruckslosem Gesicht einen Wellensittich mit Wachs übergoss. Am Körper macht sich scheinheilig schlicht die Frage fest: „Was ist der Mensch?“ VALIE EXPORTs Werk ist das Rätsel der Sphinx.

Bis 9. März, Akademie der Künste, Katalog 24 €, umfangreiches Vortrags-, Gesprächs- und Filmprogramm, Infos: www.ngbk.de