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Archiv-Artikel

Schutzpakete für Hunde und Katzen

Wegen des drohenden Irakkriegs wächst in der israelischen Bevölkerung die Nervosität – obwohl die Regierung „alles unter Kontrolle“ hat. Produkte für den Notfall finden reißenden Absatz. Die Palästinenser sind nicht mal mit dem Nötigsten versorgt

Schüler klagen über Bauchschmerzen. Viele weinen, oft ohne sichtbaren Grund

aus Jerusalem SUSANNE KNAUL

Die gestrige Schlagzeile der liberalen Tageszeitung Ma’ariv war alles andere als beruhigend. „Die US-amerikanische Regierung bereitet sich auf eine Evakuierung der Botschaft in Tel Aviv vor“, hieß es dort. Die Botschaft selbst wollte den Bericht nicht bestätigen. In der Bevölkerung herrscht unterdessen zunehmende Verwirrung. „Die Israelis wissen nicht, wie nervös sie sein sollen“, schreibt der Jerusalem Report. Die Frage: „Krieg oder nicht“ ist Thema kontroverser Gespräche. Der allgemeinen Hoffnung auf ein Ende Saddam Husseins steht die Sorge um das eigene Schicksal gegenüber.

Von offizieller Seite kommt die Botschaft: alles unter Kontrolle. Das israelische Raketenabwehrsystem sei in den vergangenen zwölf Jahren deutlich verbessert worden. Vor allem die damals wenig hilfreichen Patriot-Raketen wurden weiterentwickelt. Hörfunk und Presse berichteten zudem über gelungene Versuche des „Arrow“-Raketenabwehrsystems. Gleichzeitig sei die Schlagkraft des Irak von über 800 auf heute nur noch „20 bis 30 Langstreckenraketen“, so vermuten Militärexperten, gesunken.

Während die israelische Regierung von einer nachdrücklichen Aufforderung der USA zu einer Attacke bislang absah, rief Premierminister Ariel Scharon in den vergangenen Monaten zu einem „schnellen Schlag, wenn überhaupt“ auf. Offizieller Grund für seine Eile ist der Bericht israelischer Nachrichtendienste über die irakische Entwicklung biologischer und chemischer Waffen sowie eine Umlagerung der Rüstungsbestände von Bagdad nach Damaskus.

Wie konkret die Bedrohung Israels durch den Irak auch sein mag – Scharons Motive, die USA anzutreiben, sind vor allem innenpolitische. Solange ein Militärschlag gegen den Irak bevorsteht, sind Israels Regierungschef mit Blick auf Maßnahmen gegen die Palästinenser die Hände gebunden. Im Kabinett verstärkt sich die Haltung, Palästinenserchef Jassir Arafat ins Exil zu schicken. Dazu kommt, dass ein Ende Saddam Husseins die Schwächung des fundamentalistischen Lagers im gesamten Nahen Osten bedeutet. Konkret fiele als Erstes die irakische Unterstützung von 15.000 Dollar pro „Märtyrer“ an die Familien von Selbstmordattentätern weg.

Unterdessen dauern die Vorbereitungen in Schulen, Kindergärten, Alters- und Behindertenheimen an. Dabei geht es auch um Aufklärung und Beruhiung. Im Grunde sei es völlig egal, ob „du betest oder dich mit deiner Gasmaske beschäftigst“, meint der Psychologe Gili G. In den vergangenen Wochen muss er regelmäßig in den Reservedienst, um die Soldatinnen für ihre Mission an den Schulen zu instruieren.

Eine Schuldirektorin: Wir haben viel mehr Krankheitsfälle als in normalen Zeiten

Bei den Kindern sind die Maßnahmen offenbar nur bedingt wirkungsvoll. „Wir haben viel mehr Krankheitsfälle als in normalen Zeiten“, berichtet die Direktorin der Grundschule „Achwa“ in Ramla, Ora Gawrieli. „Die Schüler klagen über Bauchschmerzen.“ Viele weinten, oft ohne sichtbaren Grund. Dabei sei egal, ob es jüdische oder arabische Kinder sind. Auch bei den Erwachsenen funktioniert die Beruhigung per Suggestion, es sei alles unter Kontrolle, nur bedingt. So berichtet die Supermarktkette „Supersal“ von einem 30-prozentigen Anstieg des Verkaufs von „Produkten für den Notfall“. Dazu gehören Taschenlampen, Milchpulver, Sojagetränke und Konserven. Berge von Klebebänderrollen, Plastikplanen, Scheuerlappen und pulverisiertem Soja liegen an den Eingängen zahlreicher Läden aus.

Sogar für Katzen und Hunde bietet ein Tierarzt aus Tel Aviv „Schutzpakete“ gegen den biologisch-chemischen Angriff. „Schon im Ersten Weltkrieg gab es Gasmasken für Pferde“, sagt der Veterinär Rafi Kischon. Die aus dicken Bandagen improvisierte Maske sei aber nur „sehr kurzfristig einsetzbar“. Wichtiger sind die exakt für jedes Tier dosierten Atropinspritzen, Beruhigungsmittel und Antibiotika.

Die palästinensische Bevölkerung wartet auf Klärung der Frage, wer in einem Angriffsfall die Verantwortung für sie trägt. Die Autonomiebehörde sieht sich angesichts der erneuten Besatzung nicht in der Lage zu einer Versorgung mit Gasmasken. „Wir sind auf einen Angriff nicht vorbereitet“, berichtet Dr. Wael Qadan vom Roten Halbmond in Ramallah. Nicht zuletzt weil „Gasmasken verboten waren, damit wir uns nicht gegen den Tränengasbeschuss der Soldaten schützen können“, habe niemand ein Drittland um Hilfe gebeten. Mindestens tausend Masken seien notwendig, um das medizinische Personal auszurüsten. Die israelische Organisation „Ärzte für Menschenrechte“ will in vor den Obersten Gerichtshof ziehen, um die Frage der Schutzmaßnahmen für die Palästinenser, für die in israelischen Gefängnissen Inhaftierten sowie 45 bislang nicht anerkannte Beduinendörfer im Negew zu klären.