: Betrüger im weißen Kittel
Auch in Bremen haben die Krankenkassen betrügerische Praktiken bei Ärzten aufgedeckt. Ob auch mit Verstorbenen betrogen wurde, wird noch ermittelt
taz ■ In Niedersachsen kassierten skrupellose Ärzte für die Behandlung längst gestorbener Patienten (taz berichtete). Die gute Nachricht: Vergleichbares ist in Bremen bisher nicht bekannt. Die schlechte: Aus technischen Gründen konnte bisher nicht systematisch geprüft werden.
Einen direkten Abgleich zwischen Patienten- und Behandlungsdaten können die Kassen nicht selbst vornehmen. Die Datenbanken werden aus Datenschutzgründen getrennt bei der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) geführt. Der Berufsverband hat auch den für einen Abgleich notwendigen EDV-„Schlüssel“. Eine Prüfgruppe der Krankenkassen im Land Bremen untersucht deshalb derzeit Sterbedaten von Versicherten. Wenn der Verdacht aufkommt, dass darüber hinaus Behandlungen abgerechnet worden sein könnten, müssen die Kassen die KV um Prüfung bitten – ausgerechnet jene Organisation also, deren Spitze in Bremen die rechtswidrige Überziehung von Praxisbudgets lange zu decken versucht hat. „Eine heikle Situation“ findet Wilfried Mankus von der AOK, Leiter der gemeinsamen Prüfgruppe, „wenn man bedenkt, dass in anderen Bundesländern schon Ärzte vor Standesgremien als Nestbeschmutzer bezeichnet wurden, weil sie illegale Praktiken ihrer Kollegen öffentlich gemacht hatten.“
Seine Arbeitsgruppe hatte auch vor dem neuesten Abrechnungsskandal mehr als genug zu tun. „Die gefälschten Zahnprotesen sind ja noch sprichwörtlich in aller Munde“, erinnert Mankus scherzhaft. Aber seine Ermittler haben in den vergangenen Monaten noch mehr Tricks aufgedeckt. Bereits zur Anzeige gebracht wurden drei Fälle: Ein Bremer Arzt stellte Krankschreibungen auf Bestellung aus. Die „Patienten“ mussten sich dafür ein wirkungsloses Aufbaupräparat für elf Euro spritzen lassen – auf Privatrechnung. Außerdem rechnete der Mediziner bei der Kasse vorgetäuschte Behandlungen ab. Ein Hals-Nasen-Ohren-Arzt räumte verstopfte Nasenwege zwar tatsächlich mit einem Lasergerät, kassierte aber doppelt: sofort 30 bis 50 Euro vom Patienten, später noch mal bei der Krankenkasse. Ein Krankengymnast und ein Orthopäde „arbeiteten“ in Bremen perfekt zusammen: Sie „mieteten“ sich die Chipkarte einer befreundeten Familie und rechneten darauf Fantasie-Behandlungen ab. Zwei weitere Fälle ähnlichen Kalibers werden derzeit noch geprüft.
In Bremen haben alle Ersatz-, Innungs- und Betriebskrankenkassen eine gemeinsame Prüfgruppe gebildet. Zwei AOK-Leute checken mit einem Kollegen der Handelskrankenkasse die Arzt-abrechnungen von allen Kassen auf Unregelmäßigkeiten. Aus der Not entstanden – manche Kassen haben im Land Bremen zu wenige Mitglieder für eine eigene Prüfstelle – hat sich das System inzwischen durchaus bewährt: „Wir sind das einzige Bundesland, wo kassenübergreifend geprüft wird“, sagt Mankus, „und könnten damit Modellcharakter haben.“ Manche Mauschelei könne nämlich nur so ans Tageslicht kommen, zum Beispiel bei der häuslichen Krankenpflege: „Wenn ein Pflegedienst-Mitarbeiter am Tag 15 Termine bei Patienten verschiedener Krankenkassen abrechnet, können wir nur gemeinsam feststellen, ob er das eigentlich leisten konnte“, sagt Ober-Kontrolleur Mankus.
Die gemeinsame Prüfgruppe habe in den vergangenen beiden Jahren 1,4 Millionen Euro an „Rückflüssen realisiert“, so Mankus; nehme man noch die Ratenzahlungen hinzu, die mit ertappten Abrechnungssündern bereits vereinbart seien, komme man auf 1,8 Millionen. Damit habe die Gruppe zumindest die eigene Arbeit „reichlich refinanziert“. Dabei ist ihr bisher größter Coup noch nicht eingerechnet: Vor gut einem Jahr hatten die Krankenkassen-Fahnder ein Sanitätshaus erwischt, das im großen Stil Massenware statt der berechneten orthopädischen Maßschuhe geliefert hatte. Schaden: „im siebenstelligen Eurobereich“, sagt Mankus geheimnisvoll. Die genaue Summe wird wohl bald vor Gericht verlesen werden. Jan Kahlcke