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Archiv-Artikel

RZ-Prozess jetzt auch am Großen Sklavensee

Exhausmeister des Mehringshofs sitzt wieder in kanadischer Auslieferungshaft. Er soll laut Anklage Mitglied der Revolutionären Zellen gewesen sein

Seit Freitag sitzt der einer angeblichen Mitgliedschaft in den Revolutionären Zellen (RZ) beschuldigte Lothar Ebke im kanadischen Yellowknife wieder in Auslieferungshaft. Der 49-jährige ehemalige Berliner und Hausmeister des Mehringshofs war am 18. Mai 2000 an seinem neuen Wohnsitz am Großen Sklavensee auf Veranlassung der deutschen Bundesanwaltschaft (BAW) verhaftet worden. Seitdem versucht die BAW, seine Auslieferung nach Deutschland durchzusetzen.

In dem im äußersten Norden Kanadas gelegenen Yellowknife betreibt Ebke seit Ende der Neunzigerjahre zusammen mit einer Geschäftspartnerin eine Pension sowie einen Kleinbetrieb für Reparaturen. Nach vier Wochen in Haft im Jahr 2000 setzte ihn das zuständige Gericht gegen 75.000 Euro Kaution auf freien Fuß, allerdings durfte er das Stadtgebiet der Provinzhauptstadt der Northwest-Territories nicht verlassen und musste sich täglich bei der Polizei melden.

Diese Freilassung auf Kaution wurde nun aufgehoben, da am Dienstag und Mittwoch vor einem Berufungsgericht der Einspruch von Ebke gegen die Auslieferungsentscheidung des kanadischen Justizministers Martin Cauchon verhandelt wird. Im Juli letzten Jahres gab Cauchon grünes Licht für eine Auslieferung von Ebke nach Deutschland, nachdem der Yellowknifer Richter John Vertes dies empfohlen hatte. Doch Ebke ist zuversichtlich, dass die drei Richter des nun zuständigen Berufungsgerichts die Haftverschonung zu den alten Bedingungen wieder in Kraft setzen.

Die Bundesanwaltschaft beschuldigt Lothar Ebke, seit Mitte der 80er-Jahre Mitglied der RZ in Berlin gewesen zu sein. Gegen fünf weitere Beschuldigte, darunter sein Hausmeisterkollege aus dem Mehringhof, Axel Haug, verhandelt seit März 2001 das Berliner Kammergericht. Konkret wirft die BAW Ebke neben der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung die Beteiligung an dem Sprengstoffanschlag auf die zentrale Sozialhilfestelle für Asylbewerber 1987 sowie an dem aus Anlass des Golfkrieges verübten Anschlag auf die Siegessäule im Januar 1991 vor.

Außerdem erwähnt die BAW in ihrem Auslieferungsantrag seine angebliche Beteiligung an den Knieschussattentaten auf den damaligen Chef der Berliner Ausländerpolizei, Harald Hollenberg, 1986 sowie den Vorsitzenden Richter des Bundesverwaltungsgerichts, Günter Korbmacher, 1987, obwohl diese als Körperverletzungsdelikte bereits verjährt sind. Die Vorwürfe gegen Ebke beruhen ausschließlich auf den Aussagen des Kronzeugen und inzwischen rechtskräftig als RZ-Mitglied verurteilten Tarek Mousli.

In dem heute beginnenden mündlichen Berufungsverfahren soll vor allem die Frage geklärt werden, ob es ausreicht, dass Richter Vertes das Begehren der Bundesanwaltschaft nur formal prüfte. Der Richter war zu dem Schluss gekommen, dass der Antrag nach rechtsstaatlichen Prinzipien gestellt sei. Auch bejahte Vertes die Frage, ob dieselben Straftaten in Kanada unter Strafe stehen. Zur Frage der Glaubwürdigkeit des Kronzeugen Mousli erklärte sich der kanadische Richter allerdings für nicht zuständig.

Genau dies ist einer der zentralen Kritikpunkte von Ebkes Anwalt John Norris. Der aus der Kanzlei der bekannten Menschenrechtsanwälte Clayton Ruby und Marlies Edwardh in Toronto stammende Anwalt hält es für verfassungswidrig, dass es seit der Neufassung des kanadischen Auslieferungsrechts 1999 keinerlei Beweiswürdigung mehr gibt.

Auch für Ebkes Berliner Anwalt Martin Rubbert ist es unglaublich, „dass eine inhaltlich nicht zu überprüfende Aussage eines Zeugen zur Auslieferung reichen soll“. Weiter kritisiert Norris den für das kanadische Rechtssystem sehr wichtigen Punkt, dass die BAW in Deutschland noch nicht einmal Anklage gegen Ebke erhoben habe. Zudem gebe es den Straftatbestand der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung in Kanada überhaupt nicht.

Unter den 15.000 Einwohnern Yellowknifes wird das Verfahren nicht nur in der Lokalzeitung heiß diskutiert. Für das kanadische Rechtsverständnis sei das Verfahren „äußerst merkwürdig“, berichtet Ebke. Und da sein Foto nun wiederholt in der Zeitung erschien und in einem zweiseitigen Artikel „sein Fall“ dargestellt wurde, würden ihm immer öfter nicht nur seine Freunde und Bekannten vor Ort „viel Glück“ wünschen.

Doch selbst wenn Ebke weniger Glück hat, kann es noch Jahre dauern, bis es zu einer Auslieferung nach Deutschland kommt. Mit einer Entscheidung des Berufungsgerichts rechnet Ebke frühestens im April. Danach kann er noch vor den „Supreme Court of Canada“ – vergleichbar mit dem deutschen Bundesverfassungsgericht – ziehen.

CHRISTOPH VILLINGER