: Keine Angst vorm Känguru!
von MANFRED KRIENER
A wie Alkohol: Nehmen Sie sich ein Beispiel!
Die Alkoholleichen auf der Grünen Woche sind widerlich. Deshalb: Folgen Sie dem gegenwärtigen Trend! Die Deutschen saufen nämlich weniger. Der Pro-Kopf-Verbrauch alkoholischer Getränke ist in nur zehn Jahren von 175 Litern (1991) auf 152,8 (2001) zurückgegangen. Noch deutlicher fällt die Abwärtskurve bei harten Sachen aus. Seit 1980 ist ein kontinuierlicher Rückgang vom damaligen Pro-Kopf-Verbrauch von 8,0 auf 5,8 Liter im Jahr 2001 zu beobachten. Beim Bier haben die Deutschen ihre Spitzenstellung an die Tschechen und die Iren verloren. Dafür sind wir inzwischen – keiner glaubt es – Weltmeister im Mineralwasserverbrauch.
D wie dick: Nehmen Sie ihr Kind mit!
Ihr Kind ist zu dick? Nehmen Sie es mit zur Grünen Woche! Bewegung tut gut und Kälbchenstreicheln kann nicht schaden. Allein in Berlin leben 40.000 adipöse (fettleibige) Kinder. In den USA hat sich ihr Anteil seit 1980 mehr als verdoppelt. Und warum werden die Kinder immer pausbäckiger? Die schlechte Ernährung ist es nicht allein. In einschlägigen Studien wurde kein Zusammenhang gefunden zwischen Schokolade-, Cola-, Fastfood-, Snack-Konsum und dem Körpergewicht. Dagegen korreliert die Dauer des Fernseh- und Computerkonsums direkt mit dem Gewicht. Je mehr glotz, desto fetter.
E wie Eier: Friss die Hälfte!
Guillotiniert und mit einer Prise Salz gewürzt, steht das Ei dottergelb auf Millionen Frühstückstischen. Zum Start in den Tag gehört es wie Bettenlüften und Zähneputzen. Selbst chronische Muffelköpfe lächeln milde, wenn ihnen das Protein schlonzig über den Gaumen rutscht. Die Deutschen essen im Jahr pro Kopf 224 Eier. Trend: stabil. Das ist im Vergleich zum Mexikaner (315) noch moderat. Trotzdem, der Eierkonsum ist astronomisch gestiegen. Von 90 auf 224 in nur fünfzig Jahren. Zu bewältigen war das nur mit einer Verdoppelung der Legeleistung. Und: Unsere Eiergier hat 50 Millionen Hennen hinter Gitter gebracht. Wir ersparen uns Hinweise auf Salmonellentote, bebrütete Eierpampe und den allgemeinen Betrug und Beschiss in der Eierbranche.
F wie Fisch: Am besten, Sie essen Hering und Makrele!
Der Esser sitzt in der Ohnmachtsfalle. Der Fisch ist, wie jeder weiß, in Seenot. Tunfisch: Opfer der Sushimode, heillos überfischt. Rotbarsch: erst mit elf Jahren geschlechtsreif, deshalb besonders gefährdet. Wildlachs: Bestände auf historischem Tief. Kabeljau: ogottogott! Heilbutt, Alaska-Seelachs, Scholle: alle überfischt. Wir raten zu Hering und Makrele, die letzten Fischlein mit intakten Beständen.
G wie Garnele: Besser nicht!
Obacht bei Garnelen! 1,3 Kilo der Krustentierchen verputzen wir jährlich, mehr als dreimal so viel wie vor 20 Jahren. Die Demokratisierung eines ehemaligen Luxusprodukts zeigt ihr hässliches Gesicht: In Indien, China, Thailand, Vietnam und Bangladesch, Ecuador und Mexiko „verwüsten Garnelenfarmen die Küstenstreifen mit Exkrementen, Algen, Futterresten und Chemikalien“, so Natur & Kosmos. Die Delikatesse wächst in Becken unter hohem Einsatz von Fischmehl, Wachstumsbeschleunigern, Pestiziden und Antibiotika heran. Für ein Kilo Garnelen braucht es 20 Tonnen Fischmehl. Garnelen sind wiederholt wegen Verseuchung mit dem Antibiotikum Chloramphenicol aufgefallen.
H wie Hamburger: Beißen Sie zu, solange es sie noch gibt!
Die fetten Jahre sind vorbei, McDonald’s kränkelt. Noch immer gibt jeder Amerikaner für Hamburger zwar mehr Geld aus als für Kino, Bücher, Zeitungen und CDs zusammen. Noch immer ist McDonald’s in einigen Ländern wie etwa Brasilien größter privater Arbeitgeber. Aber in vielen Ländern geht der Umsatz von McDonald’s zurück, in Deutschland passierte das 2001 zum ersten Mal seit 30 Jahren. Inzwischen werden weltweit Restaurants geschlossen. Die Schnellesser sind offenbar zu Sushi abgewandert. Und: Selbst die Bediensteten werden aufmüpfig. In Paris kam es 2002 zu Streiks und Blockaden bei McDonald’s – bislang war das undenkbar.
K wie Kängurufleisch: Probieren Sie ruhig mal!
Während der BSE-Krise ist das Fleisch der symbolträchtigen Tiere – nix im Beutel, aber große Sprünge machen – zusammen mit Krokodilschnitzeln und Straußensteaks in Mode gekommen. Bei jeder Grünen Woche gehört ein Kängurugulasch aus der Fünfmeterpfanne zu den Exotenangeboten. Wir können zuraten: In Australien sind die Bestände auf 60 Millionen Tiere angewachsen, was den Ruf der possierlichen Nager gründlich ruiniert hat. Schon werden Tränken vergiftet, um die Tiere umzubringen. Dann lieber aufessen. Kängurufleisch hat einen leichten Wildgeschmack und gilt als cholesterinarm.
M wie Milch: Trinken Sie zehn Liter täglich – mindestens!
Schon „Maryam“ zuliebe. Maryam ist eine der neuen Super-Turbo-Hochleistungskühe. Die als „Miss Europa“ ausgezeichnete Kuhpersönlichkeit mit ihren armdicken Milchadern hat, wie die FAZ berichtet, in ihrer zweiten Laktationsperiode exakt 13.964 Liter Milch gegeben. Inzwischen werden aus Kuhdamen wie Maryam per Superovulation und künstlicher Besamung mit einschlägigen Spitzenbullen tausende Embryonen für neue Turbokühe hergestellt. Die durchschnittliche Milchleistung in Deutschland liegt bereits bei mehr als 8.000 Litern pro Jahr und Kuh. Sie hat sich damit seit den 60er-Jahren verdoppelt und wird dennoch ständig weiter gesteigert, während der Milchpreis fällt. Und die Gesundheit der Kühe – Eutererkrankungen, Klauen- und Beinschäden, Infektanfälligkeit – leidet.
N wie neuartige Lebensmittel: Keine Angst, immer kräftig zubeißen!
Testen Sie doch mal die „unzerstörbaren Hähnchen-Sandwiches“, die von der US-Armee als Verpflegung für Extremeinsätze entwickelt wurden. Wie afp berichtet, bleibt das Sandwich selbst bei 26 Grad drei Jahre frisch. Der Happen wurde mit feuchtigkeitsregulierenden Chemikalien behandelt und in Spezialverpackungen gesteckt, die jeden Sauerstoffkontakt verhindern. Da schmatzt der GI.
S wie Schokolade: Du darfst! Pardon: Sie dürfen!
Gerade jetzt, wenn das Islandtief in Stellung geht und der lichtarme Winter Weltuntergangsstimmung produziert, ist sie wertvoll wie nie. Schokolade wirkt mit ihren vielen psychotropen Inhaltsstoffen nicht nur beruhigend. Sie sorgt auch dafür, dass die Aminosäure Tryptophan verstärkt ins Hirn gelangt, wo dann die Produktion des Wohlfühl-Transmitters Serotonin ansteigt. Für Ernährungswissenschaftler Udo Pollmer ist Schokolade schlicht „das billigste Antidepressivum“. Schokoholics, die sich den Stoff tafelweise als Belohnungs- und Trostmittel zuführen, sind schon als Kind dazu dressiert worden. Denn Schokolade wird bevorzugt zu Feierlichkeiten wie Geburtstagen oder zu Weihnachten gegessen oder wenn ein Kind besonders brav war. Damit ist Schokolade untrennbar mit positiven Gefühlen verknüpft. Ebenfalls positiv: Schokolade hilft, den Charakter eines Menschen zu enträtseln. Schokoladenreinbeißer sind die Aggressiven, die harten Jungs und Mädels. Schokolutscher sind harmoniebedürftig und sensibel.
T wie Tee: Immer rein damit!
Grüner Tee ist top. Seit sich herumgesprochen hat, dass Tee neben Rotwein und Sojabohnen die reichste Quelle für Flavonoide sind – ein vor Siechtum schützender antioxydativer Pflanzen-Sekundärstoff – wird grüner Tee wie Brunnenwasser gesoffen. Er enthält im Gegensatz zum fermentierten Schwarztee mehr wirksame Pflanzenstoffe. Inzwischen werden ihm Anti-Aging-Eigenschaften zugewiesen, er soll vor Schlaganfall, Infarkt und Arteriosklerose schützen, angeblich sogar vor Krebs. Da man ihn dreimal aufbrüht, ist er außerdem billiger als Mineralwasser. Da lacht der Chinese, der’s schon immer gewusst hat.
Z wie Zucker: Seien Sie ruhig geizig!
Geiz ist geil, vor allem beim Süßen. Der Zuckerkonsum hat in den letzten 50 Jahren um 500 Prozent zugenommen und seit einigen Jahren die 30-Kilo-Grenze beim Pro-Kopf-Verbrauch überschritten. Seit 1988 darf Zucker laut Gerichtsbeschluss ungestraft als Schadstoff bezeichnet werden. Zucker wird nicht nur Süßspeisen, sondern unzähligen industriell verarbeiteten Lebensmitteln zugesetzt. 80 Prozent des Zuckers essen wir versteckt in verarbeiteten Produkten. Aus einem einstigen Luxusgut ist eine Seuche geworden. Dabei ist Zucker immer noch besser als künstliche Süßstoffe, die in der Kälbermast eingesetzt werden, weil man davon so schön zunimmt. Zuckerersatzstoff der Zukunft ist das aus einer afrikanischen Pflanze gewonnene, 2.000 Mal süßere Thaumatin.