: Dusemang Berlin erobert
Die berlinisch-französische Freundschaft ist viel älter als das heute gefeierte Elysée-Jubiläum. Vor über 300 Jahren kamen Hugenotten als Glaubensflüchtlinge. Sie prägten Sprache und Kultur Berlins
von AGNES CIUPERCA
Bulette, Schrippe und dazu eine Berliner Weiße. Von wegen Berliner Esskultur. Diese gemeinhin als Hauptstadtspezialitäten bekannten Lebensmittel sind kulinarische Relikte aus der Hugenottenzeit – viel älter als die offiziell heute vor 40 Jahren eingeläutete deutsch-französische Freundschaft. Bereits 1685 wurden die ersten französischen Einflüsse nach Preußen importiert. Anlass der großen Einwanderungen von hugenottischen Glaubensflüchtlingen war die Aufhebung des Edikts von Nantes durch den französischen König Ludwig XIV.
Seither durften sich die reformierten Protestanten im katholischen Frankreich nicht mehr versammeln, ihre Schulen und Kirchen wurden geschlossen, ihr Glaube unterdrückt. Hunderttausende Hugenotten flohen in benachbarte Länder.
Ein Akt der Großzügigkeit schien damals die Geste des brandenburgischen Kurfürsten Friedrich Wilhelm. Denn im Edikt von Potsdam bot er den Flüchtlingen in Preußen Asyl. „Brandenburg und Berlin waren damals total pleite. Den Hugenotten wurde nicht aus reiner Menschlichkeit Zuflucht gewährt, sie wurden gebraucht“, erklärt Anna Schnackenburg, die kulturhistorische Spaziergänge durch Berlin organisiert. Die Hugenotten gehörten in Frankreich zum gewieften Mittelstand und sollten der preußischen Wirtschaft zum Aufschwung verhelfen. Otto von Bismarck bezeichnete die Hugenotten gar als „die besseren Preußen“.
20.000 kamen bis Ende des 17. Jahrhunderts nach Brandenburg, 6.000 von ihnen siedelten sich in Berlin an. Die Reformierten, wie sie sich selbst nannten, bildeten um 1700 etwa ein Drittel der Berliner Bevölkerung. Im Vergleich zu anderen Einwanderern wurden sie privilegiert, konnten ihren Wohnort frei wählen und mussten keinen Zoll zahlen. Dennoch ist ihre große wirtschaftliche und kulturelle Fortune, nach Ansicht von Tilman Hachfeld, Pfarrer in der französischen Gemeinde in Mitte, nicht nur auf die Privilegien zurückzuführen: „Wer in der Minderheit ist, muss sich besser bewähren.“
Ihre Mitbringsel haben sich in Berlin so bewährt, dass kaum jemand noch ihren Ursprung kennt. Spargel, Erbsen, grüne Bohnen kamen erst mit den französischen Protestanten in hiesige Gefilde. Auch die feinen Tischmanieren wurden importiert. Noch im 18. Jahrhundert hatten die Franzosen eigene Schulen, Kirchen, Friedhöfe und Krankenhäuser. Heute zeugt noch der Französische Dom am Gendarmenmarkt von der gesonderten Stellung. Die Mitgliederzahl der französischen Kirchengemeinde hingegen nimmt ab. Noch etwa 1.300 Mitglieder zählt Pfarrer Hachfeld, etwa 60 von ihnen sprechen noch Französisch.