: Ringelpiez im Wrangelkiez
Der Durchgangsverkehr zwängt sich durch das Viertel und entzweit die Anwohner. Viele Schlichtungsversuche gab es bereits, doch nun beginnt die Diskussion von neuem. Die Einsetzung einer Arbeitsgruppe stößt allseits auf Skepsis
15.30 Uhr, Rush-Hour an der Schlesischen Brücke: Statt dröhnender Motoren hallt Kinderlachen aus der Fichtelgebirgs-Schule über die Straße, am friedlichen vereisten Landwehrkanal ist alles still.
Doch die Idylle trügt. Denn im Kreuzberger Wrangelkiez wird munter über die Ruhe gestritten. Das Problem: Der Durchgangsverkehr zwischen Treptow und Neukölln sucht sich Schleichwege durch den Kiez, durch Spielstraßen, vorbei an Kitas und einer Grundschule – mit mehr als 2.500 Autos täglich. Im vergangenen Jahr wurde deswegen die beliebte Abkürzung über das Görlitzer Ufer gesperrt. Dort ist es jetzt ruhig, der Verkehr aber ist immer noch im Viertel und zwängt sich nun durch die Görlitzer und Cuvrystraße. Seitdem fühlen sich deren Anwohner belästigt, seitdem kommt der Kiez nicht mehr zur Ruhe: Konzepte kursieren, Unterschriften werden gesammelt, ein Anwohner-Arbeitskreis hat sich gebildet.
Am Mittwochabend erreichte die Aufregung die Bezirksverordnetenversammlung von Friedrichshain-Kreuzberg. Noch lange nach der Sitzung stehen knapp zwei Dutzend Aktivisten vor den Saaltüren und umringen Journalisten und Bezirkspolitiker. Die hatten in ihrer Sitzung eine Arbeitsgemeinschaft eingerichtet, die sich mit dem Problem befassen soll. Doch die Anwohner sind skeptisch.
Die neue AG soll bis Ende März über Lösungen für das Verkehrsproblem beraten. Neben je zwei Vertretern aus den BVV-Fraktionen von PDS, Grünen, SPD und CDU nehmen daran auch je ein Vertreter von FDP, Bezirksamt, Anwohnerinitiative, der Gewerbetreibenden und der Straßenverkehrsbehörde teil. Ziel: „Ein konsensfähiges, d. h. ein die Bedürfnisse aller Beteiligten berücksichtigendes Konzept“, wie es in dem einstimmigen BVV-Beschluss steht.
Die Idee einer konsensualen Lösung ist nicht neu. Der grüne Verkehrsexperte Manuel Sahib sagt, bisher hätten aber vor allem „Einzelgruppen“ agiert – „nun sind alle dabei, die etwas zu sagen haben“. Mögliche Ergebnisse könne er nicht vorhersagen, die Schließung des Görlitzer Ufers müsse jedoch aufrechterhalten werden.
Auch der SPD-Verordnete Clemens Teschendorf unterstützt die BVV-Entscheidung, die ein vernünftiges Vorgehen garantiere: „Erst das Konzept, dann die Maßnahmen.“ Seine Fraktion habe deshalb ein ähnliches Konzept schon vor Monaten eingebracht.
Obwohl der Antrag für die Arbeitsgruppe von seiner Fraktion stammt, hat Baustadtrat Franz Schulz (Bündnis 90/Grüne) Kritik. Gemeinsam mit einem Anwohner-Arbeitskreis seien bereits Lösungsvorschläge gefunden worden, wie etwa die Einbahnstraßenregelung an der Wiener Straße. Wenn die Diskussion nun wieder bei null beginne, würden diese „schlagartig entwertet“. Schulz verweist zudem auf die „erdrückende Mehrheit“ von Gegnern jedweder Verkehrsberuhigung in dem neuen Gremium. „Ich fürchte, dass die Bürger da untergehen.“
Das fürchten die Wrangelkiezler auch. „Völliger Senf“, urteilt Anna Baronick, Anwohnerin der Görlitzer Straße über das neue Gremium. Lösungen seien nicht zu erwarten: „Alles bleibt beim Alten.“ Auch Ufer-Anwohner Carsten Schmidt fürchtet um die dauerhafte Beruhigung des Kiezes: „Das ist alles gestorben.“ Durch die Sperrung des Görlitzer Ufers sei der Schleichverkehr bereits jetzt deutlich reduziert, der Lkw-Verkehr verdrängt worden – auch wenn sich das Aufkommen in anderen Straßen leicht erhöht habe. Falk Trierenberg befürchtet eine Minderung der Wohnqualität und so eine „Entmischung“ der heterogenen Sozialstruktur des Kiezes, wenn die Sperrung des Görlitzer Ufers wieder aufgehoben werden sollte.
„Ein merkwürdiges Spiel“ spiele die SPD, sagt Tomas Fitzel, der schon 600 Unterschriften für die Beibehaltung der Sperrung gesammelt hat. Vor allem die Rolle von Verkehrssenator Peter Strieder (SPD) sei dubios. Denn der Senator hat die Angelegenheit zur Chefsache gemacht und Schulz entzogen. „Strieder will Schulz desavouieren“, vermutet Fitzel. Auch Baustadtrat Schulz kann sich das Verhalten Strieders nicht erklären. Seitdem der Senator sich eingeschaltet habe, sei die Sache eine „Hängepartie“ und nichts geschehen. „Ein seltsamer Konflikt, den ich nicht gewollt habe.“
16.30 Uhr: Rush-Hour in der Cuvrystraße. Kinderlachen nach Kita-Schluss, vereinzelt fahren Autos durch die Spielstraße. Doch nur eines hält sich an die Schrittgeschwindigkeit – ein Streifenwagen der Polizei.
FABIAN GRABOWSKY