piwik no script img

Archiv-Artikel

Ein Mann des Alltags

Glaubwürdigkeit in der Imbissbude: Als bodenständigen und detailverliebten Grenzgänger kann man Axel Prahl am Grips Theater und in Andreas Dresens Film „Halbe Treppe“ sehen. Ein Porträt

Für ein Stück über Bulimie redete er in der Charité mit Ärzten und Betroffenen

von AYGÜL CIZMECIOGLU

„Aaachtung“, kreischt der kleine Mann auf der Bühne. Hektisch wirbelt er mit Socken, Gießkannen und Stiefeln. Seine Offiziersmütze rutscht zur Seite und offenbart kleine Schweißtropfen. Weitaus ruhiger, mit einem kleinen Oberlippenbart sitzt dieselbe Person am nächsten Tag vor einem. „Hallo, ich bin der Axel“, sagt er mit angenehm leiser Stimme. Keine Spur von dem hysterisch zappelnden Beamten, den er am Vorabend noch in „Vorsicht Grenze!“ gespielt hat – im Grips Theater, das er liebevoll seine „künstlerische Heimat“ nennt.

Als der Schauspieler Axel Prahl Ende der Neunzigerjahre vom Schleswig Holsteinischen Landestheater für ein kurzes Engagement nach Berlin kam, wollte er eigentlich sofort wieder weg. Distanzierte Großstädter und Telefonnummern, unter denen sich niemand meldete, ließen seinen Enthusiasmus für die Metropole schnell verfliegen. „Ich kannte fast niemanden hier und war furchtbar einsam zwischen all diesen schrecklich interessanten Menschen“, erinnert er sich mit einem leichten Lächeln. Erst über ein Engagement am Grips Theater begann er sich mit der Stadt zu versöhnen.

Das improvisationsfreudige Theater bot ihm eine Art Familienersatz. Kein vorgegebener Text, keine feste Dramaturgie – lediglich der Mut, sich etwas Neues auszudenken, war hier gefragt. Aus Zollstöcken wurden spontan Staubsauger, und die Dialoge entstanden erst im Spiel. Um dabei so authentisch wie möglich zu bleiben, recherchierte der Schauspieler. Für ein Stück über Bulimie etwa redete er in der Charité mit Ärzten und Betroffenen.

Mit dieser Liebe zum Detail und zum freien Spiel hat er auch den Film „Halbe Treppe“ von Andreas Dresen geprägt. Prahl mimt darin einen frustrierten Imbissbudenbesitzer und verlassenen Ehemann aus Frankfurt an der Oder. Drei Wochen lang stellte sich der Schauspieler in eine Frittenschmiede und lernte, wie man Schweinshaxen zubereitet und das Stammpublikum anbrüllt.

„Mich nervt das so genannte Kunstgewerbliche, wo ein Übersinn auf sehr profane Dinge aufgepropft wird“, erklärt Prahl seine Abneigung gegen allzu bedeutungsschwangere Projekte. Glaubwürdigkeit ist für ihn eher schon eine Frage von Kleinigkeiten: eine ganz bestimmte Art, Dinge zu halten, zu lächeln, „die Attitüde halt“. Das sei im Film genauso ausschlaggebend wie im Theater. Dabei spielte der gebürtige Eutiner in früheren Zeiten mal mit dem Gedanken, Mathelehrer zu werden. „Ich war zwar immer der Klassenclown und merkte schnell, dass ich durch mein Zappeln auf der Bühne unheimlich gut meine geringe Körpergröße kompensieren kann, aber den Schritt ins kalte Wasser habe ich nicht auf Anhieb gewagt“, sagt er, und es klingt fast ein wenig entschuldigend.

Nach zwei Semestern praxisfernem Studium in Kiel ließ er das Ziel, als Pauker „viel Geld und viel Urlaub“ zu haben, fallen. Seine Mitbewohnerin schleppte ihn mit zu einer Schauspielschule, und er fing Feuer. „Für meine Eltern war das natürlich eine Katastrophe. Die hätten mich, wenn schon nicht in der Schule, dann wenigstens gerne beim Bundesgrenzschutz gesehen!“

In einer gewissen Art und Weise hat Axel Prahl den Wunsch seiner Eltern erfüllt. Nach zahlreichen kleineren Polizistenrollen in Filmen wie „Nachtgestalten“, „Die Polizistin“ oder „Alaska.de“ ist er in diesem Jahr als Tatort-Kommissar Frank Thiel in den Olymp der Mainstream-Unterhaltung aufgestiegen. „Klar ist es schwierig, sich von diesem Image des ewigen Bullen zu lösen“, sagt er, während er an seinem Kaffee schlürft. Nachdem er 1999 am Grips Theater gekündigt hatte, ging es ihm zunächst um die „schnöde Existenz“. Da wurden schon einmal Rollen angenommen, nur um Geld zu verdienen. Zufälligerweise häufig Polizistentypen. Aber man müsse das Bild ja nicht ausreizen, weswegen er auch nur zwei Tatort-Folgen im Jahr drehen möchte.

Sein künstlerisches Profil sieht er irgendwo zwischen preisgekrönten Produktionen wie „Halbe Treppe“, Fernsehunterhaltung und Stippvisiten auf Theaterbühnen, wie zurzeit in „Zeugenstand“, einer dokumentarischen Aufarbeitung des Kommando 2. Juni, die ebenfalls der Regisseur Andreas Dresen am Deutschen Theater eingerichtet hat. „Irgendwo dazwischen möchte ich meine Kreativität ausloten“, erläutert er. Er sei halt ein bodenständiger Grenzgänger.

Seinen immensen Erfolg in den letzten Jahren scheint der Tucholsky-Liebhaber recht gut verdaut zu haben. „Mit 42 kommt der ganze Hype um mich genau richtig. Meine Welt ist langsam gewachsen, und ich habe mir eine gewisse Bodenhaftung bewahrt.“ Statt Nobelitaliener und Sportcoupé bevorzugt er immer noch selbst gemachte Spaghetti aglio e olio und die BVG. Ein Star zum Anfassen, denkt man gerade, als er Einspruch erhebt. „Irgendwie komme ich noch nicht damit klar, wenn mich Leute morgendlich im Supermarkt zwischen Corn Flakes und Marmelade in den Arm nehmen und nach Autogrammkarten fragen.“