: Lernen nach Zahlen
Senat streicht im Nachtragshaushalt Lernmittelfreiheit. Bei zwei von drei Kindern müssen die Eltern ab August selbst zahlen. Dagegen werden die Kita-Gebühren nach PDS-Protest vorerst nicht erhöht
von STEFAN ALBERTI und SABINE AM ORDE
Die radikalste Kürzung ließ der Finanzsenator en passant raus, fast im Vorübergehen. „Der Senat hat sich entschlossen, die Lernmittelfreiheit in der alten Form abzuschaffen“, sagte Thilo Sarrazin (SPD) unverhofft bei Nachfragen zum gestern beschlossenen Nachtragshaushalt. Im Klartext heißt das: Zwei von drei Kindern bekommen ab August ihre Schulbücher nicht mehr vom Land bezahlt. 15 Millionen Euro will Sarrazin auf diese Weise einsparen – rund 60 Euro pro betroffenen Schüler und Schuljahr. Höhere Kita-Gebühren sind nach PDS-Protest hingegen vorerst vom Tisch, sollen aber in den nächsten Monaten intensiv diskutiert werden.
Der Finanzsenator hatte sich in den vergangenen Wochen für ein Ende der Lernmittelfreiheit ausgesprochen. Der Vorschlag schien jedoch nach Protesten wieder passé. CDU-Schulexperte Uwe Goetze reagierte gestern ablehnend: Der Verwaltungsaufwand, zwischen Eltern mit vollem und mit leerem Portemonnaie zu unterscheiden, fresse die Einsparung wieder auf. Die unterschiedliche Behandlung führe zudem zu „Ausgrenzung“ und „sozialen Verwerfungen“.
Der Rückzieher bei den Kita-Gebühren gilt als Niederlage von Bildungssenator Klaus Böger (SPD) gegen den kleineren Koalitionspartner PDS. Goetze geht jedoch davon aus, dass die Gebühren „bei nächster Gelegenheit“ steigen werden.
Der Nachtragshaushalt, Korrektur des im Sommer 2002 beschlossenen Plans, war nach Steuerausfällen und höheren Ausgaben der Bezirke nötig geworden. 471 Millionen Euro weniger als erwartet ergab die Steuerschätzung Ende 2002. Sarrazin schloss eine Wiederholung im Mai nicht aus: „Risiko Nr. 1 sind wieder die Steuereinnahmen“.
Der Finanzsenator hatte den einzelnen Senatsverwaltungen schon vor Monaten Sparvorgaben gemacht. Die letztliche Entscheidung aber zögerte sich hinaus. Es könne noch eine Stunde dauern, musste Vize-Senatsprecher Günter Kolodziej vertrösten, als die Ergebnisse gestern Mittag vorliegen sollten. Sarrazin sprach von Verhandlungen, die trotz teilweise eher geringer Einzelbeträge „sehr arbeits- und diskussionsreich“ gewesen seien: „Auch heute Morgen hatte der eine oder andere Senator steigenden Blutdruck.“
219 Millionen Euro hatten die neun Senatsressorts sparen sollen. 18 davon entfielen auf die Innenverwaltung, 20 auf den Bereich Soziales. Dort wird etwa der Zuschuss zum Behindertenfahrdienst Telebus um rund ein Elftel gekürzt. Die Einsparung werde aber nicht die 12.000 bis 13.000 Nutzer treffen, hieß es aus der Sozialverwaltung.