: Augen zu und durch
Um die rasant wachsenden Häfen anzubinden, fordern Bahn und Nordländer die Y-Trasse. Doch für den Güterverkehr taugt diese kaum, sagt der hannoversche Verkehrsexperte Thomas Siefer
Der Neubau einer zweigleisigen, elektrifizierten Eisenbahnverbindung von Hannover nach Bremen und Hamburg wird seit acht Jahren geplant. Sie wird Y-Trasse genannt, weil sie sich nördlich von Walsrode gabeln soll. Ein Arm führt nach Nordosten nach Lauenbrück zur bestehenden Strecke Hamburg–Bremen, der andere westlich via Verden/Aller nach Bremen. Die Kosten werden zurzeit mit 1,3 Milliarden Euro angegeben. Hinzu kämen weitere gut 200 Millionen Euro für den Ausbau zweier Teilstrecken: Von der Gabelung nach Osten über Soltau nach Uelzen zur Hochgeschwindigkeitsstrecke Uelzen–Stendal–Berlin sowie vom Bremer Knoten über Oldenburg nach Wilhelmshaven zur besseren Anbindung des geplanten Tiefwasserhafens Jade-Weser-Port. SMV
VON ROLAND MEYER
Der Bund, Hamburg, Niedersachsen und Bremen wollen unbedingt die Taube und nicht den Spatz. Obwohl die Taube erstens noch auf dem Dach ist, zweitens die Probleme nicht lösen wird und drittens der Spatz womöglich billiger und fast ebenso schnell zu haben wäre. Die Taube ist die Y-Trasse, der Spatz eine zweigleisige Güterstrecke. Beide könnten dazu dienen, das rasant wachsende Containeraufkommen in den Häfen zu bewältigen.
Heute verkehren am Hamburger Hafen täglich 214 Züge aus und in Richtung Süden. Schon damit sind die Gleise und Bahnhöfe in Norddeutschland mehr als ausgelastet. Jede kleine Unregelmäßigkeit zieht daher einen Rattenschwanz an Verspätungen auch im Personenverkehr nach sich. Vorhergesagt wird, dass der Bedarf bis 2015 und 2025 um jeweils mindestens 165 Züge steigt.
Bahn und Politik haben dieses Problem anscheinend verschlafen. Bis vor wenigen Jahren hatten sie sich vor allem für ICE-Strecken interessiert. Zwar ist der erhoffte Zuwachs im Personenschnellverkehr weitgehend ausgeblieben. Dafür ist aber zum Beispiel die damals projektierte Y-Trasse – eine neue Hochgeschwindigkeitsstrecke für Tempo 300 im Dreieck zwischen Hannover, Bremen und Hamburg – in der Planung schon recht weit fortgeschritten und im Bundesverkehrswegeplan enthalten. Falls alles glatt läuft, könnte die Trasse um das Jahr 2020 fertig sein.
Das Problem: Die Strecke, die eigentlich entworfen wurde, um den Personenverkehr schnell zu machen, taugt nur bedingt, um die Kapazität im Güterverkehr zu erhöhen. Der Eisenbahnexperte Professor Thomas Siefer von der Uni Hannover hat errechnet, dass sich durch die neue Verbindung höchstens 130 zusätzliche Güterzüge pro Tag auf die Schiene setzen ließen. „Das reicht schon 2015 nicht. Und bis dahin wäre die Y-Trasse noch nicht einmal fertig“, sagt er.
Würde die Neubaustrecke durch zusätzliche Maßnahmen flankiert, wäre sie leistungsfähiger. Um wie viel, ermittelt Siefer gerade. Ein drittes Gleis zwischen Stelle und Lüneburg wäre sicher hilfreich und wird nach Aussage der Bahn wohl auch zügig gebaut. Ein ebenso nötiges viertes Gleis zwischen Buchholz und Lauenbrück sowie eine Umfahrung des Nadelöhrs Hannover sind aber noch überhaupt nicht auf den Weg gebracht. „Beide Vorhaben sind bis 2015 nicht zu schaffen“, urteilt Siefer. Und selbst mit all diesen Maßnahmen wären wohl kaum sämtliche Container aus und für Hamburg aufzunehmen.
Statt bedingungslos an der Y-Trasse festzuhalten, fordert der Wissenschaftler die Politik auf, endlich ernsthaft Alternativen zu prüfen. Bis 2020 müsse ohnehin gewurschtelt werden – aber für die Zeit danach gebe es zwei bessere Lösungen.
Die erste ist eine neue Mischverkehrsstrecke parallel zur A7. In Soltau würden die langsamen Güterzüge abbiegen und über Celle Hannover umfahren. ICEs könnten durchbrausen und wären nur etwa drei bis vier Minuten langsamer als auf der Y-Trasse in Hannover. Zusätzlich stünde diese Strecke ab Soltau auch für Regionalverkehr mit Tempo 200 zur Verfügung. „Diese Variante bringt für den Güterverkehr immer noch mehr als das Y und ist auch für den Personennahverkehr attraktiv. Und es müsste nicht wieder Landschaft zerschnitten werden“, wirbt Siefer.
Das drängende Problem des wachsenden Warenverkehrs freilich ließe sich mit einer zweigleisigen reinen Güterbahn am besten lösen. Denn die könnte täglich 500 solcher Züge aufnehmen. Anbieten würde sich laut Siefer, dafür die bestehende private Ost Hannoversche Eisenbahn von Winsen nach Celle schrittweise auszubauen. Das wäre sofort und anfangs sogar ohne langwieriges Raumordnungsverfahren möglich. Vorteil auch: In der dünn besiedelten Heide wären nur wenige Ortschaften betroffen. Ähnliche private Strecken fänden sich auch in der Region Bremen. Leider scheue sich der Staat bisher aber, Geld in die Infrastruktur von Privatbahnen zu investieren.
Siefer vermutet, dass sich die skizzierten Lösungen fast ebenso schnell realisieren ließen wie die Y-Trasse. Und das Kosten-Nutzen-Verhältnis wäre womöglich deutlich besser. Die letzte Schätzung für die Y-Trasse stammt von 1991 – 1,3 Milliarden Euro. Berücksichtigt man die erforderlichen zusätzlichen Maßnahmen und die allgemeinen Kostensteigerungen, hält auch die Bahn inzwischen drei bis fünf Milliarden für realistisch. Zum Vergleich: Die Teilprivatisierung der Bahn soll zwischen vier und sechs Milliarden einbringen.
Vertreter der Bahn und des niedersächsischen Verkehrsministeriums reagieren skeptisch auf Siefers Anregungen. Für die Y-Trasse gebe es wenigstens ein abgeschlossenes Raumordnungsverfahren. Würde man ein solches jetzt für andere Strecken in Gang bringen, gingen vier bis fünf Jahre ungenutzt ins Land, so die Argumentation.
Der Landrat des von der Strecke besonders betroffenen Landkreises Rotenburg, Hermann Luttmann (CDU), und die örtliche Bürgerinitiative BBU bezweifeln indes, dass sich die Y-Trasse so schnell umsetzten lässt. Sie haben Klagen angekündigt.