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Archiv-Artikel

Virenalarm

Das thealit startet die Projektreihe „Eingreifen. Viren, Modelle, Tricks“ mit zwei Ausstellungen

Es gibt Mittel und Wege, sich auch mal auf seiner Jahresdurchschnittsform auszuruhen. Zum Beispiel auf einem Sofa, das nach der Verlaufskurve der eigenen Befindlichkeit designt ist. Die Bremer Künstlerin Heike Walter hat sich ein ausgefeiltes „investigation program“ ausgedacht und damit einen „mind scan“ durchgeführt: Drei Jahre lang hat sie sich täglich selbst benotet in insgesamt 40 Disziplinen wie „Erlebnisbereitschaft“, „Durchsetzungsvermögen“ oder „Völlerei“. Die Noten hat sie in Diagramme überführt und die Diagramme zu Kunst verarbeitet: zu besagtem Sofa und zu Noten und zu Bildern, allesamt stringent aus den Zahlenwerten errechnet. „Der Virus“, sagt Walter, „entsteht durch die Experimentsituation. Ich beobachte mich anders während des Experiments.“

Infiziert also von der eigenen Arbeit. Und nur eine Variante, das Thema der thealit-Projektreihe „Eingreifen. Viren, Modelle, Tricks“ künstlerisch zu verarbeiten. Morgen starten im Rahmen des „Laboratoriums“ zwei Ausstellungen, eine in der Gesellschaft für aktuelle Kunst (GAK), die andere im KünstlerHaus. Außerdem wird es vom 6. bis 9. Februar ein Symposium zum Thema geben, ein „ComputerHardwareWorkshop für Frauen“ läuft bereits im Schlachthof.

Vor allem interdisziplinär geht es zu bei der Projektreihe „Eingreifen. Viren, Modelle, Tricks“, Künstlerinnen treffen nicht nur auf Wissenschaftlerinnen, die Wissenschaftlerinnen ihrerseits gehören alle den unterschiedlichsten Disziplinen an (die taz wird berichten). Das Abstraktionsniveau allein der Ankündigung ist ungreifbar hoch: Um „eingreifende Modelle“ soll es gehen, die „das wechselwirksame Zusammenstellen etwa der Rhetorizität des Körpers, von Performanz und Ansteckung, ... oder der Wanderwege medialer Codes“ ermöglichen. Das alles klingt nach einem extrem virtuellen Husten, der nur schwerlich ansteckt – wären da nicht auch so kleine, zutiefst sinnvolle Fragestellung wie: „Kann man einen Ohrwurm loswerden?“ Oder: „Wo wohnt Alien?“

Und auch ein echter Gewinn ist es, dass die Künstlerinnen nicht bei der „Fertilisation zwischen den Disziplinen“ hängen geblieben sind, sondern auf hohem Niveau Kunst produziert haben: Das „poliSpiel“ etwa der Wahlbremerin Claudia Medeiros Cardoso, eine interaktive Installation, bei der neun Videoprojektionen von Stadtansichten durch Sensoren auf dem Fußboden verändert werden können – wobei sich jede Veränderung eines der Bilder unkontrollierbar auf die anderen Bilder fortpflanzt.

Oder die Videoserie „Politisch Reden“ von Anja Kempe: Die Kölnerin hat den Satzbau und die rhetorischen Kniffe einer Afghanistan-Rede von Gerhard Schröder analysiert, um mit genau diesen Satzstrukturen vor laufender Videokamera inmitten ihres unaufgeräumten Zimmers über das Für und Wider von Ordnung zu räsonieren. Kempe wird nicht nur Gehör finden. Ihre Eingreif- bzw. Übernahmekunst hat etwas infektiöses. Klaus Irler

bis zum 16. März. Eröffnung: Samstag, 1.2., um 19 Uhr in der GAK und um 20.30 Uhr im KünstlerHaus