Stillstand statt Innovation

Arbeitsmarktexperten kritisieren Defizite bei der Umsetzung der Hartz-Reformen. Durch weniger Überstunden könnten 16.000 neue Jobs für Leiharbeiter entstehen. Grüne: Chancen besser nutzen

von RICHARD ROTHER

Die Umsetzung der Hartz-Reformen in Berlin weist Defizite auf. Zu diesem Schluss kommt eine Expertise der Forschungsgemeinschaft für Außenwirtschaft, Struktur- und Technologiepolitik (FAST e. V.), die von der Grünen-Fraktion im Abgeordnetenhaus in Auftrag gegeben und gestern vorgestellt wurde. Berlin habe sich von einer Modellregion für innovative Arbeitsmarktpolitik zu einer Stadt des „Stillstands“ entwickelt. Dies gelte es zu ändern, so die Studie.

Mit der am 1. Januar dieses Jahres in Kraft getretenen Hartz-Reform, benannt nach dem VW-Personalvorstand Peter Hartz, will die rot-grüne Bundesregierung die Arbeitslosigkeit bekämpfen, indem sie den Arbeitsmarkt flexibilisiert, aber auch den Druck auf Erwerbslose erhöht. Die Umsetzung der Hartz-Vorschläge an sich schaffe noch keine neuen Arbeitsplätze, stellt die Grünen-Fraktionschefin Sibyll Klotz fest. Dennoch steckten insbesondere in den Instrumenten Jobcenter, Zeitarbeit sowie bei den Kleinstgründungen (Ich-AG) auch Chancen. „Die müssen wir aber aktiv erschließen.“

Dabei hapert es jedoch nach Ansicht der FAST-Studie. So fehle eine realistische Abschätzung der Chancen, die sich durch die Einrichtung der Leiharbeitsfirmen für Arbeitslose, die so genannten Personal-Service-Agenturen (PSA), ergeben, so Heinz-Rudolf Meißner, einer der Autoren der FAST-Studie.

Die alternativen Arbeitsmarktexperten unterbreiten mehrere Vorschläge, wie die Hartz-Instrumente besser genutzt werden könnten. So könnten bis zu 16.000 Arbeitsplätze neu entstehen, wenn die staatlichen Leiharbeitsfirmen auf den Abbau von Überstunden in den Betrieben drängen würden. Rund ein Drittel sämtlicher Überstunden könnten Leiharbeiter übernehmen.

Die Idee: Der oft geforderte Abbau von Überstunden zugunsten regulärer neuer Jobs lässt sich durch die Leiharbeitskräfte leichter bewerkstelligen, da dies den Unternehmen kaum neue Kosten verursacht. Zudem haben die Leiharbeitsfirmen ein Interesse daran, möglichst viele Leiharbeiter in ein Unternehmen zu vermitteln, weil sie daran verdienen. Leiharbeiter könnten auch in reguläre Beschäftigungsverhältnisse übernommen werden. Ob dieser vermutete „Klebeeffekt“ eintritt, wollen die Autoren der Studie allerdings häufiger kontrollieren lassen, als es bislang vorgesehen war.

Ein weiterer Vorschlag betrifft die Einrichtung der so genannten Jobcenter: Arbeitsamt, Sozialamt und Jugendamt schaffen damit eine Anlaufstelle für erwerbsfähige Arbeitslose. Diese sollte aber nicht beim Arbeitsamt, sondern bei den Bezirken angesiedelt werden, um bezirkliche Kompetenzen zu nutzen, fordern die Autoren. Zudem sollen sie Drogen-, Gewalt- oder Schuldnerberatungen integrieren, da viele Arbeitslose mit solchen Problemen konfrontiert seien.

Für die Förderung der so genannten Minijobs sollen nach Ansicht der Forscher Dienstleistungsagenturen zuständig sein, die öffentlich mitfinanziert werden. Den Niedriglohnbeschäftigten soll somit Schutz vor Überforderung und Willkür, denen etwa Haushaltshilfen ausgesetzt sind, geboten werden. Für die Ich-AGs fordern die Autoren zentrale Anlaufstellen. Diese sollen auch Kleinstkredite, ein Problem vieler Gründer, vermitteln helfen. Grünen-Arbeitsmarktexpertin Klotz: „Wir wollen eine Diskussion mit allen Beteiligten anstoßen.“ Für den 15. Februar laden die Grünen zu einer Veranstaltung ins Abgeordnetenhaus.