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Archiv-Artikel

Frauen reagieren anders

Fast die Hälfte aller HIV-Infizierten sind Frauen. Doch in der Forschung werden sie oft vernachlässigt. Dabei haben sie nicht nur ein erhöhtes Infektionsrisiko, sondern auch Medikamente wirken anders

von NATHALIE HEINKE

Weltweit leben 40 Millionen Menschen mit dem HI-Virus. Knapp die Hälfte der Betroffenen sind Frauen. Allein in Deutschland sind 20 Prozent der Infizierten weiblich. Dennoch sind Frauen in der HIV-Forschung oft unterrepräsentiert. Sie stellen hierzulande in der Regel höchstens 15 Prozent der Studienteilnehmer.

„Der klassische Studienteilnehmer ist männlich, Nordamerikaner oder Zentraleuropäer, weiß, im mittleren Alter, homosexuell und mit Behandlungserfahrung“, zitiert Ulrike Sonnenberg-Schwan die auf der Internationalen Aids-Konferenz 2002 in Barcelona vorgestellten Studienergebnisse. Die Psychologin ist Vorsitzende der im Jahr 2000 vom Dortmunder Verein All Around Aids gegründeten Sektion All Around Woman Special (AAWS), die inzwischen zur Deutschen Aids-Gesellschaft gehört. Die Initiative engagiert sich für frauenspezifische HIV-Forschung und -Aufklärung.

„Wird der Frauenanteil von 20 Prozent in den Studien erreicht, werden die Ergebnisse nur selten geschlechtspezifisch ausgewertet“, bemängelt Sonnenberg-Schwan. Dabei gilt längst als erwiesen, dass Frauen anders als Männer auf Medikamente reagieren. Die Gründe der ungleichen Arzneimittelverträglichkeit liegen in der unterschiedlichen Physiologie der Geschlechter: So beträgt der Fettanteil bei jungen Frauen beispielsweise 33 Prozent, bei jungen Männern hingegen 18 Prozent. Darüber hinaus wiegen Frauen meistens weniger als Männer, sind kleiner und bauen Medikamente oftmals schneller ab. Und auch die monatlichen Hormonschwankungen des weiblichen Körpers verändern die Wirkung von Medikamenten.

„Frauenspezifische Forschung im HIV-Bereich steckt nach wie vor in den Kinderschuhen“, beklagt auch Annette Haberl von der Infektionsambulanz am Uniklinikum in Frankfurt am Main. Zwar gelte inzwischen als gesichert, dass Frauen bei vergleichbarer Viruslast nicht schneller an Aids erkrankten als Männer – und auch, dass die hochaktive antiretrovirale Therapie bei Frauen nicht weniger effektiv sei. „Aber im Bereich der Nebenwirkungen der Medikamente lässt die frauenspezifische Forschung noch zu wünschen übrig“, kritisiert Sonnenberg-Schwan.

Zwar mehren sich die Hinweise auf geschlechtsspezifische Unterschiede, die Ursachen aber würden noch nicht ausreichend ergründet. So weisen aktuelle Studienergebnisse darauf hin, dass Frauen häufiger unter Übelkeit und Aufstoßen leiden als Männer.

Darüber hinaus sind Frauen in der Regel häufiger vom so genannten Lipodystrophiesyndrom betroffen, bei dem neben Fettverlust im Gesicht, an den Gliedmaßen und am Po oft auch eine Fettansammlung im Bauchraum und der Brust auftritt. Dieses Fett wird nicht nur optisch als störend empfunden, es soll sich auch ungünstig auswirken auf die Blutfett- und Blutzuckerwerte. Auch sind Zyklusschwankungen bei Frauen keine Seltenheit, Allergien sind häufiger und das weibliche Sexualempfinden wird beeinträchtigt.

Die spezifischen Lebensbedingungen von Frauen finden nach Ansicht Sonnenberg-Schwans bislang zu wenig Eingang in Forschung und Behandlung. „Frauen befinden sich oft in einer schlechteren ökonomischen und sozialen Situation als Männer“, moniert die AAWS-Vorsitzende.

Zu einem ernüchternden Schluss über die finanzielle Situation HIV-positiver Frauen in Deutschland kommt etwa eine am Berliner Praxiszentrum Kaiserdamm durchgeführten Studie mit insgesamt 87 Frauen: Demnach haben 25,5 Prozent der befragten Frauen ohne Kinder monatlich weniger als 500 Euro zur Verfügung.

Noch schlimmer trifft es HIV-infizierte Mütter: 28,1 Prozent leben von weniger als 500 Euro Nettoeinkommen. Diese Zahlen entsprechen laut Studie US-amerikanischen Verhältnissen: Dort haben 30 Prozent der HIV-positiven Frauen im Jahr weniger als 5.000 US-Dollar zur Verfügung.

„Das hängt auch damit zusammen, dass Frauen zum Zeitpunkt ihrer Infektion oftmals jünger sind als Männer“, sagt Sonnenberg-Schwan. Viele der Betroffenen hätten ihre Ausbildung, ob Studium oder Lehre, noch nicht abgeschlossen.“ Ausbildungsplätze für HIV-positive Frauen und Teilzeitjobs für positive Mütter sind dringend erforderlich“, betont die Psychologin.

Armut, Stress, Depressionen und familiäre Verpflichtungen scheinen sich bei HIV-positiven Frauen negativ auf die regelmäßige und korrekte Einnahme der Medikamente auszuwirken: Steht bei Männern die Medikamententreue, im Fachjargon Adhärenz genannt, etwa in Zusammenhang mit der wahrgenommenen guten Wirksamkeit der Medikamente und der festen Absicht, sich an den Therapieplan zu halten, spielen bei Frauen praktische Hindernisse, wie etwa Armut, eine wichtige Rolle.

Für den Erfolg einer hochaktiven antiretroviralen Therapie aber ist nach dem aktuellen Wissensstand eine 95-prozentige Therapietreue erforderlich. Ansonsten besteht die Gefahr, dass die Medikamente ihre Wirkung verlieren: „Resistente Virusstämme bilden sich, wenn es zur Virusvermehrung in Anwesenheit von Medikamenten kommt“, erklärt Haberl. „Das kann unter anderem an Medikamentenkombinationen liegen, die nicht potent genug sind, aber auch an Einnahmefehlern.“ Die Folge: Es kann schwerer werden, noch wirksame Medikamente zu finden.

Davor warnt auch Christiane Cordes, Leiterin der Studie am Berliner Praxiszentrum. Ein Viertel der befragten Frauen hatte eine psychiatrische Begleiterkrankung angegeben, die Hälfte von ihnen litt an Depressionen: „Wird eine psychiatrische Erkrankung nicht erkannt und adäquat behandelt, besteht das Risiko einer mangelnden Adhärenz bezüglich der HIV-Therapie mit den daraus resultierenden Gesundheitsgefährdungen“, erklärt die Medizinerin.

Konsens herrscht auch darüber, dass frauenspezifische Aufklärung verstärkt betrieben werden muss. So haben Frauen laut Ulrich Marcus vom Robert-Koch-Institut ein bis zu doppelt so hohes Risiko, sich beim Geschlechtsverkehr mit dem Virus zu infizieren, wie Männer. „Frauen sind gegenüber Geschlechtskrankheiten ansteckungsgefährdeter als Männer“, bestätigt auch Haberl. Das liegt an der relativ großen Schleimhautfläche der Scheide, die gegenüber Verletzungen sehr empfindlich ist. Außerdem verweilt das infektiöse Material, also die Samenflüssigkeit, in der Scheide.

Aber auch genetische Faktoren, die Stärke des Immunsystems sowie die Hormone scheinen eine Rolle dabei zu spielen, wie leicht sich jemand mit dem Virus infiziert und wann die Krankheit mit dem Vollbild Aids ausbricht.

„Die mangelhafte Aufklärung vor allem der jungen Frauen ist ein großes Problem“, bemängelt Haberl. „Allein Wissen zu vermitteln reicht heute nicht mehr“, betont die AAWS-Vorsitzende Sonnenberg-Schwan. Die Kommunikation über Sexualität sei besonders wichtig: „Was nützt das Wissen um Kondome, wenn es nicht umgesetzt wird?“, fragt die Psychologin.

Das hängt auch zusammen mit dem romantischen Liebesideal, das viele jungen Mädchen noch in ihren Köpfen haben: „Auf einem Kondom zu bestehen bedeutet ihrer Ansicht nach Misstrauen und das lässt sich nicht mit der großen Liebe vereinen“, erklärt sie.

„Schwule Männer sind beispielsweise in Sachen Prävention viel besser informiert als Frauen“, bestätigt auch Haberl. Frauen wüssten etwa oftmals nicht, dass sie sich auch bei Analverkehr schützen müssten und es wasserlösliche Gleitmittel gebe, die das Kondom nicht angreifen. Junge Mädchen müssten deshalb darin unterstützt werden, mehr Selbstwertgefühl zu entwickeln und den Wert ihres Körpers und ihrer Gesundheit besser schätzen zu lernen. „Dabei müssen auch die Jungen mit ins Boot geholt werden“, betont Sonnenberg-Schwan.