: Das Paradies ist eine billige Tankstelle
Shoppen im Berliner Speckgürtel braucht Zeit und gute Nerven. Für billigen Sprit und Schnäppchen ist kein Weg zu weit. Protokoll eines Einkaufs
von CHRISTINE BERGER
10:45
„Viertausend kostenlose Parkplätze“ hat das Schild an der B 5 versprochen, und wir werden nicht enttäuscht. Vor dem Havelpark in Dalgow breitet sich ein Brache aus wie ein riesiges, leeres Tablett. Wir kurven darauf herum, um ein passendes Plätzchen zu finden. Nicht zu weit von den Garagen für die Einkaufswagen entfernt und in Gemeinschaft mit ein paar gewienerten Weggefährten mit Berliner Kennzeichen. Die Tankstelle ist in Sichtweite, später, wenn alle Einkäufe erledigt sind, werden wir es machen wie alle. Tankdeckel auf und dann Benzin satt. Zwei Cent weniger pro Liter, dafür nimmt man schon mal 20 Kilometer Anfahrt in Kauf. Zunächst aber gilt es in die Warenwelt einzutauchen. Schließlich sind wir nicht zum Vergnügen hier. Einkaufen im Megamarkt heißt Schnäppchen schießen, riesige Einkaufswagen herumschieben und vor allen Dingen Geld ausgeben.
11:00
Drinnen ist es heiß. Ein Rover versperrt den Eingang zur Ladenpassage. Der dazugehörige Vertreter klappt sein Köfferchen auf und holt eine Banane heraus. Viel ist nicht los. Der Havelpark gehört eindeutig zu den älteren Modellen unter den Shopping-Centern. Viel Glas und weiß-metallenes Interieur, komische Schuhläden, Billigklamotten, ein Megasupermarkt namens Kaufmarkt sowie ein Marktkauf für Heimwerkerbedarf. Zu guter Letzt noch ein Gartencenter. „Wie in Russland“, meint mein Begleiter mit Blick auf die kleinen Stände mit Strümpfen, Feuerzeugen und Prospekten von Fertighäusern, die sich in der Mitte der Ladenpassage aneinanderreihen.
11:30
Bevor es zur Sache geht, nehmen wir einen Kaffee im Atrium der Konsummeile. Volle Einkaufswagen parken ordentlich hintereinander vor dem Zäunchen, das die Tische umgibt. Es fällt auf, dass kaum Wachschutz herumläuft, und auch Jugendliche sind nirgendwo zu sehen. Dafür jede Menge Omas, die auf weißen Drahtbänken regungslos die Zeit absitzen.
11:45
Wir schwärmen getrennt aus. Mein Einkaufswagen rollt wie von allein zum Supermarkt, so als kenne er den Weg schon. Gleich am Eingang schenkt ein Vertreter Lagerbier von Schultheiss aus. Er hat rote Ohren und schwitzt, was kein Wunder ist bei dem Bier. Die Obst- und Gemüseabteilung ist gigantisch. Johannisbrot, Süßkartoffeln und Cranberries kriegt man hier, aber auch jede Menge Hollandware. Möhren gibt es im Fünfkilosack. Die Leute greifen zu, als hätten sie alle Kaninchen zu Hause. Mein Herz klopft, der Einkaufszettel ist verschwunden.
12:00
Die Rampe nach oben in den ersten Stock ist mindestens 50 Meter lang und vierspurig! Zwischen den einzelnen Bahnen haben sie Vitrinen mit Kleinkram für den täglichen Bedarf befüllt. Zwei Spuren weiter gibt es Spülbürsten für 99 Cent, doch um da ranzukommen, müsste man erst wieder runterfahren und dann auf der Spülbürstenspur wieder rauf. Die Packbandrollen, die meinen Weg nach oben zu tausenden begleiten, nerven so lange, bis ich zugreife.
12:30
Der Wagen ist halb voll. Überall weisen gelbe Schilder auf Ostprodukte hin, was die Entscheidungsfindung erschwert. Soll man nun den Glasreiniger aus Sachsen für 1,45 Euro oder den aus Wuppertal für 99 Cent nehmen? Ich schließe einen Kompromiss und nehme das billigere Westprodukt, dafür gehen in der Süßwarenabteilung Wurzener Schokotäfelchen mit, und beim Kaffee greife ich zu Rondo aus Magdeburg. Im Fünferpack.
13:00
Ich habe komplett den Überblick verloren. Apathisch greife ich nach einem Putzeimer für 99 Cent und schiebe den nun völlig überladenen Wagen an verchromten Wäschetonnen (14,99 Euro) und Profikochsets (64,90 Euro) vorbei. Die Wurzener Täfelchen schmecken grausam. Unauffällig lasse ich die Packung zwischen Joghurtbechern zurück. Hinter dem Eierregal kommt endlich die Rollrampe zu den Kassen in Sicht. Der Puls rast, die Hände schwitzen. So muss sich ein Junkie nach einer Überdosis fühlen.
13:10
Ein letzter Rest Realitätssinn signalisiert, dass Milch fehlt. Also wieder die Rampe rauf, dies mal aber die richtige mit den Spülbürsten. Oben fünf Liter Milch aufgestapelt, plus die Spülbürste. Jetzt bloß nichts fallen lassen. Hoffentlich hat niemand den Einkaufswagen geklaut, der noch vor der Kasse steht.
13:20
Er ist noch da. „Schönen Einkauf gehabt?“, fragt die Kassiererin, während ich lauter Zeug, dass ich gar nicht kaufen wollte auf das Rollband verfrachte. Ja.
13:30
Mittagszeit. Es riecht nach Brühwurst, Pizza und Chinapfanne. Ein halbes dutzend Imbisse sind umlagert von gefüllten Einkaufswagen. Mit dem einen Auge auf der bezahlten Ware mit dem anderen auf dem Teller spachteln ihre Herrchen und Frauchen im Stehen. Mittendrin hält eine „Gourmet-Insel“ die Stellung. Hier gibt es gefüllte Weinblätter, Oliven und Fladenbrot, außerdem Probierhäppchen. Aber Gourmets sind keine zu sehen, weshalb der Laden sicherlich bald wieder dicht macht. In der Buchhandlung nebenan lockt ein Berg Bücher für jeweils zwei Euro. Ich kaufe das Buch zum Film „Schlaraffenland“, in dem eine Jugendbande ein Kaufhaus unsicher macht.
13:45
Wiedersehen im Café. Der Wagen parkt zu weit von unserem Tisch entfernt, so dass ich mich dauernd umdrehen muss. Immerhin sind 58 Euro darin versenkt. Die Mär von den Schnäppchen hat sich als Ente erwiesen. Vieles ist genauso teuer wie im x-beliebigen Supermarkt.
13:50
Schließlich noch zur Leergutannahme. Das ist weiter als gedacht. Ein eisiger Wind fegt über den riesigen Parkplatz. Nach rund einem Kilometer Fußmarsch mit dem Einkaufswagen halte ich einen Pfandbon in der Hand, einzulösen im Kaufmarkt. Also wieder zurück. Es dauert lange, bis man alle Spielregeln kennt.
14:00
Für den Pfandbon habe ich noch ein paar Batterien gekriegt, jetzt bloß weg hier. Der Kofferraumdeckel geht gerade noch zu.
14:10
An der Tankstelle wünschen zwei Angestellte in Hausfrauenkitteln Gute Fahrt. Ich danke und halte eine heißgelaufene EC-Karte in der zittrigen Hand. Es reicht.