Sparflamme kommt teuer

„Innere Kündigungen“ kosten Firmen jährlich Milliarden und Beschäftigte ihre Gesundheit. Angst vor Arbeitslosigkeit lässt viele vor der tatsächlichen Kündigung zurückschrecken. Vorbeugen ist vor allem Sache der Chefs, sie sollten Warnsignale erkennen

von PIA M. SOMMER

Angenehm im Umgang, zurückhaltend mit Kritik, Entscheidungen kommentarlos umsetzend, so wünschen sich viele Chefs den idealen Angestellten – und irren gewaltig. Solche Mitarbeiter sind häufig nur körperlich anwesend und nicht leistungsbereit: Sie haben innerlich gekündigt.

Das ist mittlerweile ein Massenphänomen: Die Hälfte der Beschäftigten in Deutschland hat innerlich gekündigt, so das Ergebnis einer Studie des Psychologen Dieter Frey. Noch alarmierender sind die jüngsten Zahlen des Meinungsforschungsinstituts Gallup: 69 Prozent der Arbeitnehmer machen „Dienst nach Vorschrift“. Weitere 16 Prozent sind „aktiv unengagierte Mitarbeiter“, die ihre negative Einstellung offen zeigen. Die anderen suchen anonymere Wege, um sich Luft zu machen.

Zum Beispiel im Internet: „Polizeidienst ist der beschissenste Job der Welt“, schreibt BGPionier in einem Forum. „Keine Chance auf geregelten Dienst, auch im Alter keine Perspektive, von der Straße wegzukommen, auf Demos mit Helm und Schlagstock als alter Sack herumirren, keine Perspektive bei Beförderungen, immer den Kopf für unsere Politiker-Nieten hinhalten, bescheidene Bezahlung.“ Nach 22 Jahren bei der Polizei Bremen hat es ihn erwischt: „Innere Kündigung? Ja, so kann man das nennen. Bei mir begann es vor einem Jahr und es wird immer schlimmer. Man schleppt sich durch die Wochen und beginnt die Restdienstzeit auszurechnen.“

Wissen und Fähigkeiten bleiben ungenutzt

Eine Entwicklung, die teuer kommt: Innere Kündigung kostet Unternehmen und die deutsche Volkswirtschaft jährlich rund 35 Milliarden Euro. Das haben Winfried Pause und Wolfgang Stegmann von der Fachhochschule Köln errechnet.

Doch auch Arbeitnehmer bezahlen für ihren Rückzug – oft mit ihrer Gesundheit. Unzufriedenheit und Unmotiviertheit zu verbergen bedeutet Dauerstress. Erschöpfung, Magenschmerzen, Herzrhythmusstörungen oder Depressionen sind mögliche Folgen. Zudem leidet das Selbstbewusstsein des Beschäftigten. Sein Wissen und seine Fähigkeiten bleiben ungenutzt und verkümmern. Er erlebt keine Erfolge mehr. Schließlich wird jeder Arbeitstag zur Qual. Letzter Ausweg: wirklich kündigen.

Doch diesen Schritt scheuen die meisten innerlich Emigrierten. Sie haben Angst, keinen neuen Job zu finden, wollen sich finanziell nicht verschlechtern, ihre Kollegen nicht missen – Gründe gibt es viele.

Es beginnt schleichend, nicht als Trotzreaktion

„Wer weiß, ob es anderswo besser wäre“, sagt Susanne Ehlers*. Die Lehrerin aus Bielefeld überlegt immer mal wieder, ob sie sich versetzen lassen soll. Bei der 40-Jährigen begann die innere Kündigung vor zwei Jahren, als sie eine neue Rektorin bekam. Die alte Schulleiterin habe engagierte Lehrer immer bestärkt, die jetzige sei an Verbesserungsvorschlägen nicht interessiert. „Sie entscheidet alles allein.“ Ehlers nahm sich mehr und mehr zurück.

Ein typischer Verlauf: Eine innere Kündigung vollzieht sich schleichend, nicht als Trotzreaktion. Häufig gehen ihr jahrelange Enttäuschungen, Kränkungen und Verletzungen voraus. Viele Arbeitnehmer, die sich innerlich zurückziehen, fühlen sich überlastet, nicht ernst genommen und zu wenig geschätzt. Ständiger Zeit- und Termindruck, häufige Umstrukturierungen, Outsourcing, befristete Arbeitsverträge und Personalabbau – die Belastungen am Arbeitsplatz steigen. Gefragt ist immer mehr Leistung, gleichzeitig aber wird Leistung nicht mehr gewürdigt. „Das ist ein wesentlicher Unterschied zu früher, als es einen psychologischen Vertrag gab: Das Unternehmen belohnt gute Leistung und Loyalität des Beschäftigten mit Anerkennung in Form von guter Bezahlung und Arbeitsplatzsicherheit“, erläutert Michael Ertel von der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin in Berlin. „Heute ist es aber zunehmend so, dass selbst gute Leistungen und großes berufliches Engagement zu keinem Erfolg führen. Ein Weg, wie Beschäftigte sich diesem Stress entziehen können, ist, innerlich zu kündigen. Insofern können Unternehmen ein solches Verhalten als Warnsignal verstehen.“

Der häufigste Grund für innere Kündigung sind Führungsfehler. Dazu zählen „autoritärer Führungsstil, willkürliche Kontrollen, Eingriffe in den Kompetenzbereich des Mitarbeiters oder mangelnde Kommunikation“, erklärt Ralf Brinkmann von der Gesellschaft für genossenschaftliches Bankenmarketing in Stuttgart, die mit dem Psychologischen Institut der Universität Tübingen eine Studie zum Thema durchgeführt hat.

Sinn und Chancen statt Misstrauenskultur

„Demotivierend sind auch so genannte Misstrauenskulturen, also hierarchische Strukturen, gepaart mit mangelnder Sinngebung durch die Geschäftsführung“, so Brinkmann. Wichtig sei, Arbeitnehmern den Sinn ihres Tuns zu vermitteln. Dabei seien Orientierungsgespräche eines der effektivsten Instrumente, um inneren Kündigung vorzubeugen. Brinkmann rät: „Zur Aufgabe einer Führungskraft sollte es deshalb gehören, mindestens einmal im Jahr mit dem Mitarbeiter über seine Aufgaben und seine beruflichen Entwicklungschancen zu sprechen.“ Auch der Vorgesetzte müsse dabei reflektiert werden. Schließlich habe sich das Verständnis der Führungsrolle geändert. „Führungskräfte müssen heute Dienstleister ihrer Mitarbeiter sein. Nach dem Motto ‚Fordern und fördern‘ ist es ihre Aufgabe, gute Bedingungen für Leistung und Erfolg zu schaffen.“

*Name geändert