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Archiv-Artikel

Soziale Plastik nach Hartz

Eine Ausstellung in Reinickendorf zeigt Skulpturen von Teilnehmern einer „Stabilisierungsmaßnahme“ im Rahmen von Hartz IV. Solche Projekte werden nun von der Mehraufwandsentschädigung, also von 1-Euro-Jobs, abgelöst

Da stehen sie auf schwarzen Kartonsockeln, die 19 weißen, aus Ytongsteinen herausgearbeiteten Objekte: Darunter ein „Fußball mit Stiefel“ von Yannick Philipps. Der Künstler war früher ein erfolgreicher Fußballspieler. Zwei „ineinanderverschlungene Ringe“ von Christiane Raikow: Sie möchte heiraten und weiß auch schon, wen. Ein „Labyrinth“ mit einem überraschenden Ausgang, einer Leiter.

Diese Arbeit gab der Ausstellung den Titel „Wege aus dem Labyrinth“. Die Künstlerin Vera Rayan meint dazu, „das Leben“ laufe bei ihr „wie im Labyrinth“ ab.

Die Skulpturen sind im Gewerbe- und Dienstleistungskomplex „Anthropolis“ in Reinickendorf zu sehen. Alle wurden in einem Bildhauerkurs des Designers Klaus Schröter und des Kunsthistorikers Peter Funken angefertigt. Dabei handelte es sich um ein durch die „context GmbH“ angebotenes Programm innerhalb einer halbjährlichen „Stabilisierungsmaßnahme“ nach Paragraf 16 des Sozialgesetzbuches, ausgearbeitet vom vorbestraften Wirtschaftsverbrecher Peter Hartz, mit dem die „Leistungen der Jobcenter zur Eingliederung“ geregelt werden. Die beiden Maßnahmeleiter haben bereits Erfahrungen in und mit solchen Kursen gesammelt: „Die meisten Teilnehmer haben komplizierte oder problematische Biografien“, schreiben sie, „oftmals keinen Schulabschluss und keine Berufsausbildung. Gescheiterte Beziehungen, psychische Probleme und Schulden erschweren ihre Situation. Etliche Teilnehmer wohnen im Heim. Oft bestimmen Suchtprobleme oder psychische Probleme den Alltag.“

Die Skulpturen reflektieren die Wünsche der Teilnehmer. Da gibt es ein kleines „Boot“ auf einem stillen See von Renate Plechata: Sie möchte wieder in ruhigeres Fahrwasser kommen. Ein „Mobiltelefon“ in Flaschenform von Nicole Liebow steht für den Wunsch, dass ihr Vater sie auch mal nüchtern anruft. Karola Weinert hat das Suzuki-Modell GSXR 1100 W modelliert. Sie hatte zwei Autounfälle und traute sich nicht mehr aus dem Haus, hat jetzt aber einen Freund mit Motorrad, und es geht ihr wieder besser. Ein „Pinsel mit Eimer und Farbfleck“ stammt von Patrick Etsch. Maler würde er gern werden. Mit dem „Herz“, in dem ein Stück fehlt, erinnert Sven Radüntz seine Beziehung, die kaputt ging. Krzysztof Pasdzierny hat einen „Berg“ geschaffen. Er kommt aus Stettin: „Berge gibt es da nicht.“ Er möchte gern mal in einem kanadischen Hochgebirge wandern.

Bei ihrer künstlerischen Arbeit wurden die Teilnehmer des Projekts „mit Gestaltungsfragen konfrontiert“, unter anderem mit der Umsetzung einer Vorstellung oder einer Fotovorlage ins Dreidimensionale, mit Materialproblemen und der Handhabung von Werkzeugen. Bei der Ausstellung ging es dann um die Herstellung des Sockels, des Katalogs und des Plakats, um die Werbung und die Einladungen zur Eröffnung, Aufgaben, die in Gruppenarbeit gelöst wurden. Die Maßnahmeleiter gehen davon aus, „dass das exemplarische Lösen dieser selbst gestellten Aufgaben Mut machen kann, die Lösung von ganz praktischen Alltagsproblemen voranzutreiben“. Denn im Kurs wird „Sehen, Hinschauen und Handeln“ gelernt, „und mit dem Schritt in die Öffentlichkeit geschieht auch noch etwas Gesellschaftliches, sogar Politisches.“

Fast alle Teilnehmer entschieden sich am Ende dafür, die Oberflächen der Objekte – dem Material des groben Porenbetonsteins entsprechend – unbehandelt zu lassen, damit erkennbar bleibt, woraus sie gemacht sind. Kein Lack, keine Bemalungen. Das beschreibt vielleicht am besten, was dieses Seminar von anderen unterscheidet.

Das Format „Stabilisierungsmaßnahme“, die erst einmal „das Abrutschen verhindern“ sollte, wird laut Peter Funken demnächst abgeschafft. Es ist eine Art Vorlauf zur MAE (Mehraufwandsentschädigung) – den „1-Euro-Jobs“. Die Ausstellung ist jedoch „als Projekt eine Erfolgsgeschichte“. HELMUT HÖGE

ANTONIA HERRSCHER

Bis 22. 10. im 5. Stock des Hauptgebäudes der „Anthropolis“, Aroser Allee 76, Reinickendorf. Tägl. von 9 bis 15 Uhr