: Lasst tausend Partisanen sprießen
So politisch korrekt, so lustig: Mit der großen Ausstellung „Split Points“ zeigt die Prager Nationalgalerie derzeit kritische Gegenwartskunst aus Dresden. Ursprünglich in der Industriestadt Usti nad Labem geplant, zwang die Augustflut des vergangenen Jahres zum Umzug in die tschechische Hauptstadt
von SUSANNE ALTMANN
„Wieso brauchen diese Bilder denn solch eine riesige Vorrichtung?“, wundert sich Milan Knizak, Chef der Prager Nationalgalerie, Abteilung Moderne. Etwas verwirrt steht der Künstler – und, als Indiz der Ämterhäufung, auch Rektor der Kunstakademie – vor dem respektablen Baugerüst, das ihm die Künstlergruppe „Reinigungsgesellschaft“, RG, in sein Haus gesetzt hat.
Für die Ausstellung kritischer Gegenwartskunst aus Dresden, „Split Points“, recycelte das Dresdner Team seine griffigen Strategien zur Bundestagswahl 2002 und befestigte die Plakate aus der Serie „Wahlhilfe“ an der Metallkonstruktion. Kurator Michal Kolecek, der die insgesamt 13 KünstlerInnen ausgewählt hat, mag die Arbeit von RG und deren griffig-pfiffige Gesellschaftkritik sehr: „Die sind so politisch korrekt und so lustig.“
In der tschechischen Gegenwartskunst vermisst Kolecek subversive Stimmen, die sich sozialer Themen annehmen, und glaubt daher, mit seiner Auswahl Impulse zu geben. Das trifft besonders auf David Adams eindringliche Fotoserie aus dem Strafgefängnis Bautzen II zu.
Doch auch Martin Eder gehört zu Koleceks Favoriten, denn hier paare sich eine klare soziale Aussage mit „brillanten Spannung zwischen Kunst und Kitsch.“
Eder, der nur noch mit Mühe in die lokale Verortung Dresden passt, hat in Prag einen seiner raumfüllenden Schriftzüge angebracht. „A WORLD WITHOUT LOVE“ verkündet dieser, mit geschickt abstrahierter Tropfästhetik ornamentiert, und widerspricht sich im Detail. Auf den brachialen Lettern erfreuen gewohnt bonbonfarbene Aquarelle mit Softporno- und Kuscheltiermotiven („Pets & Porns“).
Martin Eders Beitrag zu „Split Points“ verbirgt sich zunächst in einem Seitenraum der Ausstellungsetage, bleibt aber dennoch Teil der von der Architektur diktierten strengen Rundgangschoreografie.
Als ehemaliger Messepalast weist die Nationalgalerie einige Herausforderungen für Ausstellungsmacher auf. Fünf Stockwerke hoch, ziehen sich relativ schmale Galerien um ein längliches Atrium – eine harmonische Bauleistung der 1920er-Jahre, die eine Museumsfunktion jedoch nicht eingeplant hatte. Sichtbezüge und dramaturgische Korrespondenzen zwischen Ausstellunsgstücken sind im „Veletrzni Palac“ schwer herzustellen. So geriet die Abfolge von „Split Points“ ein wenig zu linear und brav.
Immerhin beziehen sich Sophia Schamas Streifengemälde und Martin Borowskis Strukturen auf die Architektur, und auch Sebastian Hempels unartig zuckende Bildtafeln und sein bedrohlich stürzender Zellophanwürfel stellen sich auf die sachliche, horizontal betonte Bauweise ein. Und dann lenkt Markus Drapers flammendes Breitformat „Pyrotechnik“ den Blick über Rohrgeländer und Schwindel erregenden Innenhof hinweg auf ein Element von Ulrike Gärtners Beitrag. In tschechischer und englischer Sprache ließ sie dort ein hochkomplexes Zitat des umstrittenen Staatsrechtlers Carl Schmitt anbringen. Dessen Charakterisierung von Partisanen und deren infiltrativen Kampf illustriert Ulrike Gärtner mit Vegetation: Aus den Deckeln von zwei Miniaturgewächshäusern sprießen Triebe von Knöterich-Arten.
Selbst Eingeweihten fordert diese Installation ein beachtliches Maß an Geduld und Aufnahmevermögen ab, und belohnt die Investition dann mit Aufschlüssen über die invasiven Verbreitungsmodi von vegetabilen Partisanen sowie über deren erstaunliches Vermögen, beispielsweise schwermetallverseuchte Böden zu entgiften. Fraglich allerdings, ob sich der tschechische Besucher dem Studium der erheblichen, überwiegend deutsch-englischen Textmenge unterziehen mag. Für Kolecek gehört auch Ulrike Gärtner zu jenen engagierten KünstlerInnen, die in einem Klima von Aufbruch, Transformation und Unsicherheit versuchen, dem sozialen Chaos ein klares künstlerisches Konzept entgegenzusetzen.
Roland Bodens abgründige Videoarbeit „To see und to be seen“ (2001) gewinnt vor der Kulisse des drohenden Irakkriegs neue Aktualität. In der simplen Ästhetik früher Spielkonsolen wird eine heitere Familie durch das Fadenkreuz eines Kamikazebombers gefilmt und winkt der eigenen Auslöschung zu.
Eine wirkliche Entdeckung offeriert Katharina Heilein. Die Dresdnerin siedelte vor einigen Jahren nach London um, wo sie derzeit am Goldsmith College studiert. Ihr spielerischer, wenngleich durchaus realisierbarer Vorschlag nimmt sich der Autobahn A 17 an. Bekämpft und ersehnt, soll diese Verkehrsader spätestens bis 2005 Dresden und Prag verbinden.
Katharina Heilein erweitert deren nur logistische Funktion und entwirft analog zu grassierenden Well- und Fitness-Angeboten eine Raststätte als kreisrunden Freizeitpark mit Wildwasserkanu und weiteren Erholungsfunktionen. Das komprimierte, fiktive Ressort war zunächst für eine Verkehrsinsel der böhmischen Industriestadt Usti nad Labem erdacht worden. Hier sollte die Ausstellung „Split Points“ ursprünglich im September 2002 stattfinden.
Kunsthistoriker Michal Kolecek, der in Usti die städtische Galerie für Gegenwartskunst, „Emil Filla“, führt, hatte die Dresdner zunächst in den spröden Ort an Elbe und Schreckenstein eingeladen. Doch leider fand sich dort keine kommunalpolitische Lobby für das Projekt. Zum einen fehlt ganz allgemein das Verständnis für aktuelle Kunst, zum anderen hatte man Angst, sich auch im tschechischen Wahljahr 2002 mit einer groß angelegten Präsentation deutscher Kunst aus dem Fenster zu lehnen. Die Augustflut als grenzüberschreitend genutzter Vorwand für Einschränkungen aller Art trug das Ihre bei.
Für den Kurator selbst stellt die Prager Nationalgalerie einen erheblichen Karrieresprung dar, den er mit der weitaus spannenderen Ortswahl Usti gewiss nicht erreicht hätte. Und als Nächstes betreut Michal Kolecek im Sommer dann den tschechischen Pavillon der Biennale in Venedig.
„Split Points“, Nationalgalerie Prag, Veletrzni Palac. Bis 25. Februar