Jazz als Palindrom

Weiterentwicklung, nicht Revolution: Lars Dupplers „Palindrome Sextet“ im Birdland

Nebel rückwärts gelesen. Das bekannteste Wortspiel dieser Kategorie hat längst seinen Weg vom DaDa-Gedicht an Anna Blume in die Chart-Hits von Freundeskreis gefunden. Der Frauenname (wie auch die benannte Frau) bleibt gleich faszinierend, auch wenn die Leserichtung wechselt. Besserwisser nennen Worte und Sätze, die solche Perspektiv-Wechsel erlauben, Palindrome. Und oft ergeben sich bei genauem Hinsehen neue Bedeutungen. Miles Davis betitelte eins seiner besten Alben Live/Evil, und nicht zuletzt gibt das Palindrom ein gutes Bild für die Besonderheit des Jazz: Es geht darum, Musik immer wieder neu zu lesen und alternative Zusammenhänge herzustellen.

Der junge Pianist Lars Duppler wählte Palindrome zum Titel seiner Debüt-CD als Chef seiner eigenen Band. Das auf dem 2001 erschienenen Album spielende Quartett hat er inzwischen zum Sextett erweitert. Im Rahmen einer kleinen Tournee gastiert das Palindrome Sextet nun im Hamburger Birdland. Medien-Resonanz ist schon jetzt sicher: Das Konzert wird mitgeschnitten und bundesweit im Radio gesendet. Die Aufmerksamkeit des Live-Publikums dürfte sich ebenfalls schnell einstellen, denn der moderne Jazz des Sextetts kommt ohne Umschweife auf den Punkt.

Im Programm des Birdland werden Kompositionen im Stil von Ornette Coleman und Don Cherry angekündigt, doch Free Jazz-Assoziationen verfehlen das Ziel schon aufgrund der deutlichen Präsenz des Klaviers. Der „aufregendste musikalische Aufbruch, der einem in Deutschland zur Zeit zu Ohren kommen kann“, wie Roger Willemsen in den Liner Notes der Debüt-CD schreibt, findet nicht als brachiale Revolution, sondern als konsequente Weiterentwicklung statt.

Die ersten Kompositionen für Sextett schrieb Lars Duppler in Paris, während er bei Daniel Humair studierte. Zurück in Köln suchte und fand er Musiker für eine regelmäßige Besetzung. Gut zwei Jahre später zeigt sich das Palindrome Sextet als eine bemerkenswerte, hoch dynamische Einheit: Piano, Bass (Dietmar Fuhr) und Schlagzeug (Marcus Rieck) stehen ein Trompeter (Stephan Meinberg) und zwei Saxophonisten (Frank Sackenheim und Niels Klein) gegenüber. Kompakter Rhythmus kann so zum Ausgangspunkt solistisch freier Ausdrucksformen werden, arrangierte Bläsersätze im Gegenzug den Rahmen für die Befreiung aus der Funktion als Begleitmusiker aufspannen.

Erfreulich, dass in Hamburgs einzigem ernst zu nehmendem Jazzclub – neben der internationalen „Rising Stars“-Reihe – auch die aktuellen Vertreter der (nicht hamburgischen) deutschen Jazz-Szene zu hören sind.

Tobias Richtsteig

Sonnabend, 21 Uhr, Birdland