An Stelle der Leere

Wie wird Ground Zero bebaut? Zwei Entwürfe haben es in die Schlussauswahl geschafft: der von Daniel Libeskind und der von dem Architektenteam rund um Frederic Schwartz und Rafael Viñoly

Dass jemals den Entwürfen gemäß gebaut wird, ist unwahrscheinlich

von TOBIAS RAPP

Sie hat ihren Charme, diese Mischung aus Geheimdiplomatie und Basisdemokratie, die das Verfahren um die Zukunft von Ground Zero vorantreibt. Wochenlang wurden die New Yorker aufgerufen, sich am Entscheidungsfindungsprozess zu beteiligen, die öffentlichen Sitzungen zu besuchen und per Zettel oder Internet ihre Meinung zu den sechs Entwürfen abzugeben. Am vergangenen Sonntag endete die Frist. Kaum hatte man sich zu Ende gewundert, wie schnell die mehreren zehntausend abgegebenen Meinungen wohl ausgewertet werden würden, war die Entscheidung auch schon da.

Am Dienstag gab das verantwortliche Gremium, das sich aus Vertretern der Stadt und des Staates New York, der Entwicklungsgesellschaft Lower Manhattan Development Corporation (LMDC) und der Hafenbehörde Port Authority zusammensetzt, bekannt, das Studio Daniel Libeskind aus Berlin und das New Yorker Think-Team um die Architekten Frederic Schwartz und Rafael Viñoly würden in die letzte Runde des Wettbewerbs geladen.

Es sind zwei Entwürfe, die unterschiedlicher kaum denkbar sind. Sowohl Libeskind als auch Think wollen auf dem Gelände des ehemaligen World Trade Centers das höchste Gebäude der Welt errichten, und beide haben eine Gedenkstätte im Zentrum ihrer Planungen. Das sind die Gemeinsamkeiten.

Während bei Libeskind die Betonwände, die Ground Zero umgrenzen, im Mittelpunkt stehen, geht es dem Think-Team um das ganz große Symbol: Über dem so genannten Footprint des World Trade Centers sollen zwei Türme errichtet werden, größer und leuchtender als zuvor, das World Culture Center, ein Doppel-Eiffelturm für das 21. Jahrhundert. Zwei Gitterkonstruktionen sollen sich 500 Meter in die Höhe ziehen, in die dann Plattformen für diverse Kultureinrichtungen eingehakt werden sollen: ein Theater, ein Konferenzzentrum, ein Museum, ein Garten und auf dem Dach eine Gedenkstätte.

Es ist ein Entwurf, der ein Thema aufnimmt, das sich durch fast alle Wettbewerbsbeiträge zog, und das man den selbst auferlegten Zwang zur Sinnstiftung nennen könnte. So unerklärlich die Leere des Orts, so monströs und unverständlich das Verbrechen, das diese Leere schaffte – fast alle Architekten versuchten, dieser Leere mit Sinn zu begegnen. Doch kein Entwurf versuchte so offensiv die Leere des Ortes in die Frage nach dem umzukodieren, was eigentlich im Zentrum dessen steht, was der Westen an sich selbst wertschätzt. Wo Leere ist, soll im Entwurf des Think-Teams Kultur werden. Wie ein Faraday’scher Käfig stehen die Kulturtürme über dem „hallowed ground“, dem Ort, an dem fast dreitausend Menschen gestorben sind.

Ganz anders der Entwurf Daniel Libeskinds. Die so genannte „Badewanne“, jenes riesige Loch, das in Downtown Manhattan klafft, seit die letzten Trümmer weggeräumt wurden, will Libeskind zu einem großen Teil so lassen, wie sie ist. In der Standhaftigkeit dieser Betonwände, die einmal errichtet wurden, um das Fundament des World Trade Centers vor dem Wasser des Hudson River zu schützen, und die den Einsturz der Türme wunderbarerweise unbeschadet überstanden, sehe er das Fundament der Demokratie, gab er bei der Präsentation seines Entwurfs zu Protokoll. Durch ein Museum soll man hinuntergelangen. Sein Turm, ein über 500 Meter hoher Glasfinger, in dessen Spitze sich hängende Gärten hineindrehen, befindet sich am Rand des Geländes. Glaubt man den Animationen, dann dürfte er aus der Ferne an die Silhouette der Freiheitsstatue erinnern.

Bis Ende Februar haben das Büro Daniel Libeskind und das Think-Team nun Zeit, ihre Entwürfe zu überarbeiten. Dann soll der Gewinner gekürt werden. Dass auf Ground Zero jemals so gebaut wird, wie es die beiden Pläne im Augenblick vorsehen, ist allerdings unwahrscheinlich, auch wenn oder vielleicht gerade weil die Verantwortlichen beteuern, „im Kern“ würde der Siegerentwurf nicht verändert werden.

Doch da ist zum einen Larry Silverstein, der ehemalige Pächter des World Trade Centers. Auf dem Papier hat er immer noch das vertragliche Recht, die beiden Türme so aufzubauen, wie sie einmal waren. Auch wenn er darauf nicht besteht: seine Ablehnung aller sechs Entwürfe hat er vor einigen Tagen in einem Brief an die LMDC bestätigt. Sie böten zu wenig Platz für Büroraum, monierte er, außerdem seien aus Sicherheitsgründen Gebäude mit mehr als 70 Stockwerken für ihn nicht akzeptabel.

Silverstein wird auch die Versicherungssumme für die zerstörten Türme kassieren, ein Druckmittel, das man in Zeiten akuten Geldmangels im Haushalt der Stadt und des Staates New York kaum unterschätzen kann. Was für Pläne Silverstein genau verfolgt, ist unklar. Das Architekturbüro Skidmore, Owings & Merrill, das sich ursprünglich auch am Wettbewerb beteiligt hat und für Silverstein bereits ein Gebäude an der Südseite von Ground Zero wieder aufbaut, zog seinen Entwurf vor zwei Wochen mit der Begründung zurück, man wolle sich auf die Arbeit für Silverstein konzentrieren. Silverstein wiederum kündigte an, wer den Wettbewerb gewinne, werde mit Skidmore, Owings & Merrill zusammenarbeiten müssen.

Dann ist da noch die Port Authority, die Besitzerin des Grundstücks. Zwar kursiert seit Monaten das Gerücht, sie solle ihre Kontrolle des Grundstücks abgeben. Doch noch ist sie an der Auswahl der Siegerentwürfe beteiligt und hat parallel dazu ein Gutachten in Auftrag gegeben, wie weiter mit dem Gelände zu verfahren sei. Man kann annehmen, dass sich dieses Gutachten stärker an den Bedürfnissen des Marktes orientieren wird als an dem nach einer spektakulären Skyline.