Schlechte Manieren

Wechseljahr 2008 (33): Wie fühlt sich Amerika? Dagmar Herzog über die Verfasstheit einer Changing Nation

„Der da.“ (That one.) Es hätte abgetan werden können als ein kleiner, unvorsichtiger Ausrutscher in einer ansonsten selbstbeherrschten, absichtlich etwas langweilig gehaltenen Schauspielleistung. John McCain durfte sich in der zweiten Debattenrunde mit Barack Obama – vor Millionen Fernsehzuschauern – nicht so hässlich benehmen, wie er es nun, zusammen mit der inzwischen immer dreisteren Sarah Palin, in schöner Regelmäßigkeit tut. Es ging um eine Gesetzesvorlage von Präsident Bush zur Energieversorgung, in dem Begünstigungen für Ölkonzerne miteingebaut waren. McCain hatte dagegen gestimmt. Ausnahmsweise, denn zu 95 Prozent hat er in den letzten acht Jahren mit Bush gewählt. Aber Obama („der da“ – McCain wies mit dem Zeigefinger auf ihn) hatte die Vorlage unterstützt. McCain strahlte. Glücklich, dass er ein Beispiel gefunden hatte, das ihn tatsächlich als einen unverdrossenen Einzelgänger darstellt, der die Courage hat, seiner eigenen Partei zu widersprechen (übrigens seine beliebteste Selbstmythologisierung).

Aber unerwarteterweise wurde dieser Moment der Debatte mehr als alle anderen davor oder danach von allen diskutiert. Kritiker sprachen von einer „Dehumanisierung“, von fehlendem Respekt, von McCains anscheinender Unfähigkeit, Obama in die Augen zu schauen, und von dem wachsenden Versuch der McCain-Kampagne, den Gegner noch einmal irgendwie als fremden Außenseiter darzustellen.

Eine Überreaktion? Wahrscheinlich. Aber es ist unübersehbar, was für eine dreckige Wende McCains Wahlkampfstil genommen hat. Genau der Mann, der in den Vorwahlen 2000 dafür zuständig war, dass McCain in South Carolina gegen Bush verloren hat (indem er das Gerücht verbreitete, die von Cindy McCain adoptierte Tochter aus Bangladesch sei eigentlich ein uneheliches schwarzes Kind ihres Mannes), ist nun von McCain selbst angeheuert worden. Eine Verzweiflungstat – aber auch ein Zeichen dafür, wie skrupellos McCain geworden ist. Es ist offensichtlich, dass er alles und jedes tun würde, wenn es ihm nur einen Sieg verschaffen könnte. Er hat zu jedem wichtigen Thema (Steuern, Folter, Immigration, Diplomatie, al-Qaida, Wahlkampffinanzierung) seiner früheren Meinung widersprochen. Und die Attacken auf Obama werden immer persönlicher und verlogener. Es gab auch clevere und lustige Reaktionen auf die Zeigefingerattacke – demokratische Baseballkappen, auf denen steht: „DER DA 2008.“ Oder T-Shirts: „Diese hier wird stimmen für DEN DA.“

Hinter dem hoffnungsvollen Lächeln jedoch verbirgt sich auch Angst. Obama liegt vorn, ohne Frage. Aber als Palin bei einer Wahlkampfveranstaltung wieder einmal versuchte, Obamas Charakter in Frage zu stellen, in dem sie auf seine Bekanntschaft mit einem ehemaligen Mitglied des linksextremen Weather Underground pochte (Obama würde sein Land als so mangelhaft ansehen, sagte sie, dass er „sich mit Terroristen abgegeben hat, die es auf ihr eigenes Land abgesehen haben“) rief jemand aus der Menge (in Bezug auf Obama): „Töte ihn!“ Weder McCain noch Palin haben sich von dieser Meinung abgesetzt.

DAGMAR HERZOG, geboren 1961, Historikerin, forscht u. a. über den Aufstieg der religiösen Rechten in den USA