: Finanzkrise stimmt Jusos sanftmütig
Auf seinem Bundeskongress feiert der SPD-Jugendverband die Wiederkehr des starken Staats und alter Gewissheiten
WEIMAR taz ■ Hubertus Heil steht seit zwanzig Minuten auf dem Podium der Kongresshalle in Weimar und gibt den Oberjuso. Finanzmärkte regulieren, Mindestlöhne einführen, Armut bekämpfen – diese Botschaften sendet der SPD-Generalsekretär an die knapp 300 Genossen. Das alles ginge aber nur mit den Sozialdemokraten, und deshalb ruft er: „Ich will, dass Frank-Walter Steinmeier Bundeskanzler wird!“ Da jubeln alle. Ausnahmslos.
Eins wird gleich am ersten Tag des diesjährigen Bundeskongresses der Jungsozialisten klar: Eine Rebellion muss die Parteiführung trotz des gerüchteumwitterten Rücktritts von Kurt Beck vor einem Monat nicht fürchten. Der SPD-Jugendverband steht geschlossen hinter dem frisch gekürten Kanzlerkandidaten. Auch wenn es noch nicht allzu lange her ist, dass er die Agenda 2010 miterfunden hat. Die ist bei den meisten Jusos noch immer verhasst.
Aber sie haben ja ohnehin längst gewonnen, seit die Finanzkrise allen Angst macht. „Die neoliberalen Märchen von der Selbstregulierung der Märkte wollen selbst ihre entschiedensten Protagonisten nicht mehr hören“, ruft Juso-Chefin Franziska Drohsel in ihrer Auftaktrede den Delegierten zu. „Plötzlich sind alle Attac.“ Kein Wort zu Frank-Walter Steinmeier oder Franz Müntefering, dem Schröder-Kumpan, der schon einmal Parteichef war und es am kommenden Wochenende wieder werden soll.
Jetzt, wo der Raubtierkapitalismus nur noch letzte Zuckungen von sich gibt, Banken allerorten verstaatlicht werden und auch noch der Bahn-Börsengang verschoben wird, da kann man schon mal gnädig sein mit der eigenen Parteiführung. Oder wie es ein Delegierter aus Nordrhein-Westfalen ausdrückt: „Warum sollen wir meckern, wenn gerade alles eintritt, was seit Jahren bei uns Beschlusslage ist?“
Personaldebatten will hier an den insgesamt drei Kongresstagen jedenfalls niemand mehr führen. Jetzt kann es nur noch darum gehen, das Wahlprogramm der Mutterpartei zu beeinflussen. Und da sind die Forderungen von Juso-Chefin Drohsel klar: Erst mal müssen die Finanzmärkte streng reguliert werden. Das heißt konkret: Finanztransaktionen und Devisengeschäfte müssen saftig versteuert, globale Haftungsregelungen eingeführt, alle Banken verstaatlich werden – also auch profitable Kreditinstitute. Drohsel: „Es kann nicht sein, dass Verluste sozialisiert werden und die Profite von Protagonisten des Zusammenbruchs privat wieder eingestrichen werden können.“
Was die Inhalte angeht, herrscht das gesamte Wochenende eine für die sonst so streitfreudigen Jusos erstaunliche Einigkeit. Nicht einmal die traditionell renitenten Landesverbände aus Hamburg und Baden-Württemberg schießen quer. Eigentlich eine gute Ausgangsposition, um beim SPD-Sonderparteitag am Wochenende die eine oder andere dieser Positionen unterzubringen.
Die emotionale Harmlosigkeit des Wochenendes wird allenfalls durch ein paar kleine Angriffe auf Hubertus Heil unterbrochen. Schuld ist er selbst, weil er über alles redet, außer über eigene Versäumnisse. Das kam bei den Jusos noch nie gut an.
Auch Bundesarbeitsminister Olaf Scholz, der sich sichtlich Schöneres vorstellen kann, als an einem freien Tag vor der Parteijugend zu sprechen, strotzt am Samstag nicht gerade vor Selbstkritik. Aber obwohl er es fertigbringt, 1-Euro-Jobs als intelligente Instrumente eines „aktiven Arbeitsmarkts“ zu verteidigen, muckt niemand auf. 2003 war Scholz übrigens das letzte Mal bei den Jusos. Damals warf er sich für die Agenda 2010 ins Zeug und wurde aus der Halle gebuht. Wie sich die Zeiten ändern.
VEIT MEDICK