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Archiv-Artikel

Das flüchtige Paradies Heimat

Armenierin sein. In der Türkei leben. Deutschland besuchen: Die Autorin Jaklin Çelik war drei Wochen zu Gast in Hamburg, um einen „nahen Blick“ auf die Stadt zu werfen. Gefunden hat sie stille Zuhörer, gefrorene Gesichter und, immer wieder, den Hafen

„Yakin Bakis – der nahe Blick“, heißt das türkisch-deutsche Stadtschreiber-Projekt, mit dem Jaklin Çelik nach Hamburg gekommen ist. Was ist ein naher Blick? Ein genauer, vermutlich, aber was, wenn das, was man sieht, nicht besonders überraschend ist? Für das Projekt haben acht deutschsprachige und acht türkischsprachige Autoren und Autorinnen im jeweils anderen Land gelebt und geschrieben – und wenn man das Ergebnis schlicht quantitativ betrachtet, dann gab es für die Türkeireisenden mehr Anlass zu schreiben.

„Die Deutschen sind pflichtbewusster“, hat Jaklin Çelik dazu gesagt, und: „Ich bin keine Schreibmaschine.“ Sie hat es auf Türkisch gesagt, sie hätte es auch in ihren beiden anderen Sprachen sagen können, Kurdisch und Armenisch. Deutsch oder Englisch spricht sie nicht, deshalb ist ein Übersetzer im Garten des Hamburger Hotels dabei, der seine Sache gut macht, aber natürlich ist das Ergebnis eher ein Steckbrief als ein Porträt.

Unübersehbar ist ihre Lebhaftigkeit, die Emphase, mit der sie über andere Autoren redet, über Tschechows trockenen Humor, während sie raucht und ein Pils trinkt. „Ist der Mensch der Heimat einmal entrissen, wird er nirgends mehr richtig heimisch. Denn wenn man ankommt, erscheint das versprochene Paradies gerade da zu sein, wo man herkommt“, hat Jaklin Çelik in ihrem Hamburg-Blog für das Stadtschreiberprojekt geschrieben. Sie ist die Tochter eines Armeniers und einer Assyrerin, als Zweijährige kam sie mit ihren Eltern nach Istanbul, brach die Schule im siebten Schuljahr ab, inzwischen verdient sie ihr Geld mit Fernsehdokumentationen und anderen Zwischenjobs. Vom Schreiben kann sie nicht leben, in der Türkei können das nur die prominentesten Autoren, Autoren auch wie Orhan Pamuk, die im Ausland Gehör finden, weil sie im Streit mit dem Staat leben.

Warum immer die gleichen Fragen, denken Jaklin Çelik und der Übersetzer vermutlich, warum immer Pamuk, aber sie sind zu freundlich, um die Frage zu beanstanden. Es gebe ein einfaches Prinzip, sich im Ausland Gehör zu verschaffen, sagt sie, und dass die Dinge nicht ganz so lägen, wie man sich das in Deutschland vorstelle. Aber dennoch, sie schätze Pamuk. Sie selbst hat in der

Türkei keine Schwierigkeiten, Verlage für ihre Texte zu finden – ins Deutsche sind sie bislang aber nicht übersetzt und die Dokumentarfilme, für die sie das Drehbuch geschrieben hat, kennt hier niemand. Sie hat sich mit allem befasst, wofür man Ärger bekommen könnte: Mit der Zwangsumsiedlung von Kurden und mit der Situation von christlichen Kirchen. „Ich bin bestimmt keine Selbstmordattentäterin“, sagt sie dazu, „aber wenn ich ein Projekt verfolgen muss, dann verfolge ich es auch zu Ende.“

Den Dokumentarfilm über die Umsiedlungen, sicher das brisantere der Themen, wollte ein englisches Filmfestival zeigen, aber das hat Jaklin Çelik mit einer fürs Filmgewerbe untypischen Bescheidenheit abgelehnt: Es sei ein Amateurprojekt und passe nicht dorthin. Die Situation der christlichen Kirchen hat sie für einen amerikanischen Verlag dokumentiert, es interessierte sie, wie die Muslime in der Umgebung mit den Bauten umgehen, wie das Leben ringsherum verläuft. Von Repressionen kann wohl keine Rede sein, aber sie erzählt von einer 100-köpfigen Gemeinde in Zentralanatolien, deren Kirche geschlossen wurde auf der Grundlage eines alten Vereinsrechts, das doch eigentlich nur für Kirchenbauten ohne Gemeinde gelten soll.

„Die Türkei ist immer noch ein Dritte-Welt-Staat“, sagt Jaklin Çelik, „Hamburg und Deutschland sind durch die kapitalistische Struktur viel stabiler“. Sie ist zu höflich, um zu sagen, dass sie dadurch auch langweiliger sind. Sie sagt es anders: „Es hat mich hier nichts überrascht.“ Sie war gern am Hafen, der sie an den von Istanbul erinnert hat.

Sie wollte sehen, wie die Leute hier kommunizieren, in einer Gegend, wo es kalt ist und die Menschen notgedrungen versuchen, Kommunen zu bilden. Vielleicht hat sie deshalb in ihrem Blog geschrieben, dass „das Gesicht, das sie hier aufsetzen, wie eingefroren (ist) und erst später auftauen soll“. Das bezog sich auf die Zuwanderer, in einem Text, der „Hamburg – Die Spielregeln“ heißt, aber Jaklin Çelik will es nicht ausschließlich für Hamburg verstanden wissen, es sei eher eine „universelle Perspektive“.

Aber manches ist eben doch anders in Hamburg: Beim „türkischen Abend“ im Hamburger Literaturhaus, der mit einem Deutschen, einer Türkin und einer Armenierin eher ein multikultureller Abend war, wunderte sie sich über das ruhige Publikum. Und fragte, so beschreibt sie es in ihrem Text „Hamburg – Stumme Zeugenschaft“, den Dolmetscher danach: „Ein paar scheinen mir eingeschlafen zu sein, aber Tevfik Turan klärt mich auf, dass sie nur die Augen schließen, um sich besser konzentrieren zu können.“

Heute verlässt Jaklin Çelik Hamburg, macht sich zurück auf den Weg nach Istanbul, die Stadt, die für sie Alzheimer hat, weil sie sich nicht an die eigene Geschichte erinnert. Dort will sie ihr Buch zu Ende bringen, „ganz kurze Geschichten über das Verhältnis von Boden und Mensch, Mensch und Gott“.

FRIEDERIKE GRÄFF

Die Blogs des Stadtschreiber-Projekts finden sich unter: www.goethe.de/ins/tr/lp/prj/sst/deindex.htm