Hier ist Brasilien

In einem brisanten Derby besiegt St. Pauli sein Loser-Image und Lübeck mit 2:0. Zunächst ist Franz Gerbers Team Tabellenvorletzter und der VfB nun in Abstiegssorgen

St. Paulis Stadionsprecher Rainer Wulff ist ein besonderer unter den Lautsprechern. Nicht umsonst wurde er in den Sprecherrat der Stadionsprecher berufen. Beim Heimspiel seines FC St. Pauli gegen den VfB Lübeck konnten sich alle 19.800 Fans mit Ausnahme der Lübecker Zuschauer überzeugen, warum ihm diese Ehre zuteil wurde. „Hier ist Brasilien – überschlug er sich beinahe, als der neuverpflichtete 24-jährige Christian Maicong Hening aus dem Land des Weltmeisters in der 29. Minute per Volley den 2:0-Endstand für den FC St. Pauli erzielte. Ein Treffer, der den auf der rechten Mittelfeldseite eingesetzten Vertragsamateur „Chris“ direkt an die Seitenlinie trieb, um seine Landsleute Vivaldo Nascimento Barreto und den schon nicht mehr in der Aufstellung des Stadionmagazins 1/4 nach 5 erwähnten Marcao zu herzen.

Dass Rainer Wulffs Euphorie nach dem ersten Sieg seit dem 27. September 2002 zwar verständlich, aber kaum gerechtfertigt war, stellte St. Paulis Marco Gruszka klar: „Durch Kampf und Arbeit haben wir uns diesen Erfolg verdient. Das hat nichts mit Wunder zu tun.“ Gruszka selbst, der seit Beginn der Rückrunde im defensiven Mittelfeld solide die Angriffsbemühungen des Gegners stört und auch eigene Angriffe einleitet, ist dabei Abbild eines Teams, das weniger durch brasilianische Spielkunst, als durch neue taktische Geschlossenheit den Klassenerhalt zu sichern versucht.

Auch St. Paulis Trainer Franz Gerber war die Freude anzumerken, endlich mal gewonnen zu haben – nachdem es gegen Frankfurt und auf besonders unglückliche Weise in Ahlen nicht gereicht hatte. „Wir arbeiten seit Wochen konzentriert und haben endlich die verdienten drei Punkte festgehalten“, befand Gerber, der allerdings zur Kenntniss nahm, dass sein Team in der zweiten Hälfte „den Sieg unbedingt festhalten wollte und deshalb verkrampfte“.

Lübecks Trainer Dieter Hecking hatte andere Sorgen: „Meine Mannschaft hat in der ersten Halbzeit nicht stattgefunden.“ Vielmehr wurmt ihn die Tatsache, zu Saisonbeginn als heimlicher Aufstiegskandidat gehandelt worden zu sein und nun durch die Niederlage im leichten Abstiegssog zu paddeln. „Hätte, wenn und aber sagen wir uns seit Wochen. Den Ball schön laufen zu lassen ist brotlose Kunst“, erklärte der Lübecker Coach dem häufig schön anzusehenden Spiel seines Teams hoffentlich keine komplette Absage. Denn der Lübecker Stadionsprecher würde sich auch gern mal wieder mit etwas anderem melden, als mit: Hier ist die Lohmühle. FOG