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Archiv-Artikel

Keinen Kühlschrank wert

Erbarmungslos: George Clooneys „Confessions of a Dangerous Mind“ im Wettbewerb nimmt sich des Lebens von Chuck Barris an, der das Fernsehen real, demokratisch, dumm und hässlich machte

von ANDREAS BUSCHE

Wenn das Leben erst zur Gameshow geworden ist, geht es nur noch darum herauszufinden, welches Format dem eigenen Persönlichkeitsprofil entspricht. Chuck Barris spricht: „Ich habe eine Idee für eine neue Gameshow, sie heißt ‚The Old Game‘. Du hast drei alte Typen auf der Bühne mit geladener Knarre. Sie blicken auf ihr Leben zurück. Gewinner ist, wer sich nicht sein Gehirn wegbläst. Er gewinnt einen Kühlschrank.“ Barris war in den Sechzigerjahren so etwas wie ein Visionär, aber das Fernsehen noch nicht bereit für ihn. So muss seine letzte Vision wie eine Bitte um Absolution klingen. Wenn das Leben zur Gameshow geworden ist, hat die Summe der einzelnenen Teile gerade noch den Gegenwert eines Kühlschranks – nicht einmal die Kugel ist im Preis inbegriffen.

George Clooneys Regiedebüt „Confessions of a Dangerous Mind“ ist ebenfalls nicht mehr als die Summe einzelner Teile, aber das Chaos hat eine Methode. Chuck Barris galt in den Sechzigerjahren als Amerikas Schreckgespenst des Fernsehens; derjenige, der die Latte so weit nach unten verschob, dass sie nie wieder auf ein erträgliches Niveau angehoben werden konnte. Seine Erfindungen „Dating Game“ (das Vorbild zu „Herzblatt“) und die „Gong Show“ waren kalkuliertes Antifernsehen, ohne Inhalt, ohne Form, ohne Stil, ein einziger Kamikaze-Angriff auf die menschliche Würde.

Was dagegen Barris war, daran lassen Clooney und sein Drehbuchautor Charlie Kaufman keinen Zweifel: ein schwanzgesteuerter Wurmfortsatz der frühen Mediengesellschaft – vielleicht aber auch ein genialer Konzeptkünstler (letzte Zweifel bleiben immer, darum wirkt „Confessions of a Dangerous Mind“ auch so perfekt unperfekt): „Wer hätte gedacht, dass da draußen so viele Amerikaner willig waren, sich vor der ganzen Nation zum Arsch zu machen?“, wundert er sich und muss sich später dann auf einer VIP-Party von einem Filmstarlet für seine Skrupellosigkeit fertig machen lassen. Was denn sein Beitrag zur Geschichte sei, will sie wissen. Zucht und Erniedrigung funktionieren in „Confessions of a Dangerous Mind“ in beide Richtungen, und dieses ambiguine Verhältnis zu seinem Stoff macht den Film auch so unwiderlegbar.

Man kann Chuck Barris heute mit Nachsicht begegnen. Retrospektiv könnte man sagen, dass mit Barris Fernsehen zum ersten Mal „real“ ausgesehen hätte; im Sinne eines demokratischen, repräsentativen Massenmediums: dumm, hässlich und ohne Selbstachtung. Und natürlich war Barris, daran lässt Sam Rockwell in dessen Rolle keinen Zweifel, ein gutes Stück auch Teil dieser Nation.

Für den Zynismus der Gameshow-Kultur hat Barris in seiner „unautorisierten Autobiografie“, auf der „Confessions of a Dangerous Mind“ basiert, die wohl einzig angemessene Metapher gefunden (wir befinden uns im Kalten Krieges) – und hier kippt der Film schließlich auch vom Kaufman-typischen Meta-Patchwork ins Debil-Surreale. Wie aus dem Nichts taucht Clooney selbst im Film auf und rekrutiert Barris für den CIA („Jesus war mit 32 tot und schon wieder zurück unter den Lebenden, höchste Zeit, dass du was aus deinem Leben machst!“). Die Tarnung ist perfekt: Als „Dating Game“-Show Host wird er auf CIA-Kosten mit den Gewinnerpaaren auf Kennenlernurlaub an die Fronten von Osteuropa geschickt. Hier trifft er auf ein krudes Agenten-Ensemble, dargestellt von Julia Roberts bis Rutger Hauer (!).

„Confessions of a Dangerous Mind“ will nicht ganz so „schlau“ sein wie Kaufmans anderer Berlinale-Film „Adaptation“. Clooney war selbstbewusst genug, seinen Film intuitiv zu inszenieren. Es kostet den Zuschauer Mühe, die Versatzstücke einzusammeln. Kameramann Newton Thomas Sigel hatte mit Clooney auch schon an „Three Kings“ gearbeitet, aber „Confessions of a Dangerous Mind“ übertrifft dessen Vulgo-Avant-Charme um Längen. Der Film bleibt erbarmungslos. Am Ende winselt Barris um Wiedergutmachung. Er ahnt, dass für ihn höchstens ein Kühlschrank rausspringen wird.

Heute, 12 und 21 Uhr, Royal Palast