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Liberalisierung strengstens geheim

Noch weiß die Öffentlichkeit nicht, welche Dienstleistungen die EU privatisieren will. Verhandlungen im Rahmen des Gats-Abkommens laufen im Verborgenen. Globalisierungskritiker, Gewerkschaften und kommunale Verbände fordern Aufklärung

von HANNES KOCH

Der Bodennebel hat sich ein paar Zentimeter gehoben. Genug, um zu sehen, welche Auswirkungen die internationalen Verhandlungen zur Marktliberalisierung auf den Alltag in Deutschland haben könnten. Klar ist bislang so viel: Mehrere Staaten haben Forderungen an Berlin gerichtet, die öffentlichen Dienstleistungen wie Bildung und Wasserversorgung für private Unternehmen zu öffnen. Diese Forderungen werden formuliert im Rahmen der Verhandlungen um die Liberalisierung bei den Dienstleistungen (GATS – General Agreement on Trade in Services).

Das Bundeswirtschaftsministerium – federführend in dieser Angelegenheit – bestätigt, dass andere Länder in einigen höchst umstrittenen Bereichen Liberalisierung fordern. So hätten Firmen, die Bildungstests anbieten, Interesse, in Deutschland aktiv zu werden. Dabei soll es sich unter anderem um das Unternehmen Sylvan Learning Systems aus den USA handeln, das den so genannten Toefl-Sprachtest verkauft. Außerdem gebe es Ansprüche in den Bereichen Hochschul- und Erwachsenenbildung.

Die Gats-Verhandlungen sind eingebettet in die neue Welthandelsrunde, die beim WTO-Treffen 2001 in Katar beschlossen wurde. Sie sollen die wirtschaftliche Verflechtung auf dem Globus befördern, neue Arbeitsplätze schaffen und privatem Kapital bessere Entfaltungsmöglichkeiten bieten. Unter anderem die globalisierungkritische Organisation Attac, aber auch Gewerkschaften, Teile der Union und kommunale Spitzenverbände befürchten dagegen, dass der Standard der öffentlichen Dienstleistungen unter einer Privatisierung leiden würde. Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) warnt zum Beispiel vehement davor, die Verteilung von Schülern auf verschiedene Schulen in die Hände privater Testanbieter zu legen.

Unklar ist freilich bislang, inwieweit die geschützten öffentlichen Dienstleistungen Bildung, Wasserversorgung, Müllentsorgung, Gesundheit und andere tatsächlich weiter geöffnet werden. Der zuständige EU-Handelskommissar Pascal Lamy versuchte Ende der vergangenen Woche die Befürchtungen der Kritiker zu zerstreuen. Es sei zwar eine große Zahl von Liberalisierungsforderungen eingegangen, sagte Lamy, doch die EU werde nur in Sektoren wie Telekommunikation, Finanzdienstleistungen oder Tourismus weiter liberalisieren. In sensiblen Bereichen wie Gesundheit, Bildung und Medien soll es Lamy zufolge keine Veränderung geben.

Manche glauben das, andere nicht. Im Hause von Wirtschaftsminister Wolfgang Clement (SPD) heißt es, mit Lamys Äußerung sei die Debatte um die vermeintliche Privatisierung von Bildung doch wohl vom Tisch. Auch die Grünen-Bundestagsabgeordnete Michaele Hustedt gibt sich gelassen. In Bezug auf Bildung und Gesundheit hält sie die Angst für „übertrieben“.

Thomas Fritz vom globalisierungskritischen Verband Weed bezeichnet es hingegen als „offene Frage“, ob die EU die Liberalisierungsansprüche akzeptiere. Besonders interessiert ihn, wie Brüssel im Bereich Erwachsenenbildung reagiere.

Die Kritiker wollen sich auch deshalb noch nicht zufrieden geben, weil die bisherigen Verhandlungen unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattgefunden haben. Außer einigen Eingeweihten in Brüssel und Berlin weiß niemand genau, welche Staaten welche Forderung erhoben haben und wie die EU sich positionieren will. Die Kritiker verlangen, dass Lamy sowohl die Liste der externen Forderungen als auch sein Verhandlungsangebot veröffentlicht. Nach den Regularien der Gats-Verhandlungen muss die EU bis Ende März den anderen Staaten ihre Position mitgeteilt haben.

Die Geheimniskrämerei ist etwas, das auch die Grünen beunruhigt. Ohne es genau zu wissen, befürchten sie, dass auch Themen betroffen sein könnten, die ihnen traditionell besonders am Herzen liegen. „Wasser und Verkehr sind die gefährdeten Bereiche“, sagt Abgeordnete Hustedt.

Privatisierung der kommunalen Wasserversorgung? Da würde sich auch manch einer in der Ökopartei auf die Hinterbeine stellen.

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