: Immer wieder schön
Ein 19-jähriger eingewechselter Halbgrieche schafft in seinem ersten Zweitligaspiel in knapp20 Minuten einen Hattrick und blamiert den Tabellenführer aus Köln. Das Spiel endet schließlich 3:3
aus Köln BERND MÜLLENDER
Emmanuel Krontiris kam spät aus der Kabine. Ein schmächtiges Bürschlein, zart bebrillt mit einigen Dioptrien, Typ strebsamer Schulsprecher aus Quadrat-Ichendorf, der privat einen lindgrünen Öko-Twingo fährt. „Vielleicht wären es mit Brille sechs Tore geworden“, sagte der 19-Jährige im Tenor. Und grinste schüchtern. Was in der Umkleide los war? „Viele Sprüche.“ Welche? Das habe er „gar nicht mitbekommen, ich war noch so …“ – und macht den Scheibenwischer. Hieß: Ganz belämmert sei er noch, was er da angerichtet hatte. Dann humpelte er in den Bus.
Es war Krontiris erstes Spiel für Alemannia Aachen, eingewechselt in Minute 57, dann erzielte er nach 0:3-Rückstand beim Tabellenführer drei Tore mit drei Linksschüssen in knapp 20 Minuten, Hattrick, der Ausgleich in letzter Sekunde. Und man sammelte Daten: deutscher U-18-Spieler halbgriechischer Herkunft, vor zehn Tagen verpflichtet von Borussia Dortmunds Amateuren, wo er in der Regionalliga-Hinrunde elfmal getroffen hatte. Freundin? Ja, Elena. Handy-Nummer: weiß keiner. Über das hügelige Aachen hat er gesagt: „Nettes Städtchen, es geht allerdings viel bergauf.“ Na, wenn das keine symboltriefende Äußerung war.
Das 3:3 zwischen Erstem und Sechstem war ein Fußballspiel, wie man es selten erlebt. Aachens Kapitän Kalla Pflipsen staunte nach immerhin 14 Profijahren: „Im Fußball gibt es schon komische Geschichten, immer wieder neu, immer wieder schön.“ Die spielstarken Aachener waren lange „klar spielbestimmend“ (Kölns Dirk Lottner), respektive „sehr stark“ (Trainer Friedhelm Funkel). Aber die Tore schossen die Kölner. Bis der Halbdeutsche kam. Und der FC sich blamieren ließ.
Vor zwei Wochen, in der Kneipe beim Bier, hatten Funkel und sein Manager Andreas Rettig eine Todsünde begangen. Sie spielten das Spiel Fußball als Wunschkonzert. Unter welchen Umständen der FC, rein theoretisch, dem Nachbarn den Sieg schenken würde? Funkel bockte: „Ich will immer gewinnen.“ Rettig war einverstanden, wenn sein Club „in Duisburg nicht verlieren“ würde und „die Bayern im Pokal nach Elfmeterschießen rauswerfen“ würde. „Dann darf Alemannia in Köln gewinnen.“
So ist der Kölner: Man muss auch jönne könne. Das Spiel in Duisburg wurde zwar nicht verloren (Spielausfall), aber in München, beim 0:8, fehlten acht eigene Tore zumindest zum Erreichen der Verlängerung. Funkel hatte da gesagt: „Eine solche Niederlage kann einer Mannschaft einen Knacks geben, aber nicht uns.“ Nach dem 3:3 waren er und Rettig mit Leichenbittermiene vom Felde gestapft, grellig diskutierend. Funkel sagte dann empört: „Nein, das Spiel hatte mit dem 0:8 nichts zu tun.“ Wahrscheinlich hatte es das doch, und der Spielverlauf war schlimmer, als es eine unglückliche Niederlage hätte sein können.
Das Rheinland-Derby mitten in der närrischen Jahreszeit war auch ein musikalischer Abend. Die 5.000 Aachener gaben vorher laute „8:0“-Choräle. Als es 3:0 für den FC stand, schwenkten sie auf Zukunftsperspektive um: „Nur ein Jahr, dann seid ihr wieder da.“ Die Kölner forderten derweil von der prächtigen neuen Südtribüne glückselig und selbstbesoffen „8:0“ – und nach dem 3:1 immerhin noch „8:1“. Nachher ging man schweigend heim. Und sauer. Nicht mal für das selbstironische „Wir sind nur ein Karnevalsverein“ reichte es.
Weil es eben mal nicht joot jejange war. Reihenweise hat der 1. FC Köln in dieser Saison schon Spiele wie das gegen Aachen abgeliefert: defensives Versteckspiel nach Funkels Philosophie. Kaum Initiative, kaum Spielwitz. Motto: Abwarten und auf Fehler lauern. Mit viel Dusel und Leuten wie Lottner oder Scherz, deren Abgeklärtheit immer für ein Tor gut ist. Der FC spielt, wie Funkel redet: ohne jeden Schnörkel, humorlos. Ein fußballerisches Herr-und-Hund-Syndrom. Die Fans sind befriedet nur durch die knappen Siege und den Tabellenstand. Manche sagten nachher: Gut so. Vielleicht denken sie mal über ihre Auftritte nach.
Wird Köln dennoch aufsteigen? Sieben Punkte Vorsprung und ihre ökonomische Spielweise sprechen dafür. Und Aachen? Deren Sportchef Jörg Schmadtke erkannte am aufregenden Abend von Müngersdorf, „dass wir zu Recht da oben hingehören, aber auch, warum da noch ein Abstand zu den Aufstiegsplätzen ist“. Abwehrchef Klitzpera grämte sich: „Die Kölner waren am Ende völlig von der Rolle. Schade, dass nicht noch ein paar Minuten zu spielen waren.“ Und Krontiris will „noch ein bisschen so weitermachen“.
Dreimal dieses Wort „noch“. Das reicht locker für Aachener Traumkonzerte: Die Hellenen-Alemannia hat von den nächsten fünf Begegnungen vier Heimspiele, davon drei innerhalb einer Woche gegen Mitkonkurrenten. Aachens Fans beschallten auf der Rückfahrt den Regionalexpress: „Wir reißen Bäume aus – auch wo keine sind.“