Die Ökosöldner

Eine neue Generation von Umweltschützern wie die Aktivisten der US-amerikanischen Organisation „WildAid“ begnügt sich nicht mehr mit PR-Maßnahmen. Sie setzt bewaffnete Truppen ein. Zum Beispiel in Kambodscha. Eine Reportage über eine fragwürdige Mission

von JACK HITT

Weit über einen Kilometer tief stürzt der Felsen in die flauschige Decke des Regenwalds und in den Golf von Thailand darunter. Unsichtbare Fischerboote ziehen schaumgekrönte Kurven auf die spiegelnde Oberfläche. Das Ruinenfeld von Bokor, der ehemaligen Ferienresidenz der französischen Kolonialmacht im südlichen Kambodscha, krönt der einst Atem raubende Patio eines Hotels und Casinos aus den Zwanzigerjahren. Verkohlt heute, von Einschüssen durchsiebt, angefüllt mit geplatzten Sandsäcken – verlassene Maschinengewehrnester der Roten Khmer. Während des brüchigen Friedens, den Kambodscha seit einigen Jahren erlebt, konnte der Dschungel den Ort zurückerobern. „Schauen Sie dort rüber“, sagt Mark Bowman, verantwortlich für die Ausbildung der zehn bewaffneten kambodschanischen Parkranger, die hinter mir stehen. Ihre AK-47-Gewehre baumeln lässig von der Schulter, sie rauchen und unterhalten sich auf Khmer. Bowman deutet auf einen Faden weißen Rauchs über dem Wald unter uns: „Das sind die Wilderer.“

Wo es kaum Hilfe für die Bevölkerung gibt, versucht eine neue Generation von Umweltschützern, der Natur zu helfen und bedrohte Arten des südostasiatischen Raums vor dem Aussterben zu bewahren. Mit bewaffneten Truppen. Mark Bowman, 1,90 Meter groß, australischer Infanterist in Tigerstreifencamouflage und dem passenden Schlapphut, ist ein umtriebiger Mensch. Abgebrüht durch unzählige Missionen und ausgestattet mit einem Repertoire harten Humors, Sex mit Affen, Tod im Minenfeld und dergleichen. Ein Gefahrensucher, UN-Blauhelm 1992 und Soldat im Minenräumprogramm am Flughafen von Phnom Penh, Sicherheitschef von Hollywoodstar Matt Dillons Filmprojekt „City of Ghosts“ in Kambodscha, das im Frühjahr in die Kinos kommt. Als ich ihn beiläufig als Söldner anspreche, grinst Bowman kurz. Ganz kurz. „Ich bin taktischer Berater“, sagt er, „ich bilde Parkranger aus: Verhaftungsmethoden, Hinterhalttechnik, Nachtpatrouillen.“

Wieder scannt er die Wipfel und macht bald sieben Feuer aus. „Diese beiden da sind etwas größer als die anderen“, sagt er, „das sind wahrscheinlich Sägemühlen.“ Typisch für Holzdiebe, erklärt er, die sägten die Beute meist direkt im Camp und bauten schlammige Pisten, auf denen das Holz dann schnellstens fortgeschleift werden kann. „Hätte ich jetzt die richtige Funkausrüstung, dann wäre eine Einheit der Ranger in Nullkommanichts vor Ort.“ Bowmans Bemerkung ist eher an Peter Knights gerichtet, den 38-jährigen Briten, der diesen Einsatz – die Ausbildung einer Chaostruppe (nicht wenige sind ehemalige Infanteristen der Roten Khmer) zu einer effektiven Wildschutzeinheit – als Herzensangelegenheit betrachtet. Knights ist einer der vier locker Verbündeten, die sich „WildAid“ nennen: zwei erfahrene Umweltschützer, der frühere Referent für Gegenspionage an der George-Washington-Universität und eine wohlhabende Erbin. Drei Männer und eine Blondine, der Eingreiftrupp des Dschungels.

Vorbei die Zeiten, meint Knights, als es ausreichte, einen ökologischen Skandal publik zu machen und die Reaktion der Regierung abzuwarten: wie bei der Weltklimakonvention oder beim Walfangverbot. Mit Gesetzen und Verträgen allein komme man gegen die globalisierende Wirtschaft nicht an. Deshalb bilden Knights und seine Kollegen bewaffnete Truppen aus, die Naturschutzgesetze rund um den Globus durchsetzen sollen. WildAid kontaktiert die einzelnen Regierungen mit dem Angebot, Rangern aus dem öffentlichen Dienst – wie den Männern in Bowmans Trupp – eine Sonderprämie zu zahlen und sie in westlichen Methoden effektiver Verbrechensbekämpfung zu trainieren.

In Russland haben WildAid-Ranger geholfen, den von Jägern bedrohten Sibirischen Tiger vor dem Aussterben zu schützen. In Thailand und Kambodscha verteidigen sie die meistgejagten Dschungelbewohner: Elefanten, Tiger, Schildkröten, Affen und Schlangen. Auf den Galapagosinseln hilft WildAid, den Vertriebsweg für Haifischflossen zu unterbrechen. Die Nachfrage ist dramatisch gestiegen, seit Haifischflossensuppe das Symbol für Luxus geworden ist, den sich Chinesen der aufstrebenden Mittelklasse gern gönnen. Im vorigen Mai drückte die US-Regierung mit einer Spende über achtzigtausend Dollar erstmals ihre Anerkennung für die Arbeit von WildAid aus.

„Wir wissen, wo es langgeht hier draußen“, sagt Knights, als wir vor dem alten Kasino stehen. „Wir brauchen keine weiteren Untersuchungen und Berichte.“ Mit seinem strubbeligen Haar erinnert Knights an den jungen Sting und war vor gar nicht langer Zeit tatsächlich Bassist der „Idle Hands“, einer Popband wie den Talking Heads. Als er sich dem Umweltschutz widmete, stieß er auf Gleichgesinnte, die Mitbegründer von WildAid: den Briten Steve Trent und die beiden US-AmerikanerInnen Steve Galster und Suwanna Gauntlett. Bereits 1990 gehörte Galster zu jenen Umweltschützern, die sich mit dem Schmuggel von Rhinozeroshörnern beschäftigten. Anstatt aber einen Bericht zu verfassen, versteckte er eine Kamera in seinem Rucksack und mischte sich unter die Schwarzhändler. Mit Erfolg. Er konnte den Plan der chinesischen Mafia aufdecken, Nashornelfenbein zu horten – das ohnehin für dreißigtausend US-Dollar das Kilo gehandelt wird – und dann den Preis mit einem ultimativen Trick noch weiter in die Höhe zu drehen: Nashörner bis zum Aussterben zu jagen.

Die Arbeit im Dschungel stellt nur eine von vielen Möglichkeiten dar, den illegalen Welthandel mit Naturgütern zu stoppen. Knights und seine Freunde haben Kommandos von Detektiven in Bangkok und Phnom Penh ausgebildet, die die Aktivitäten illegaler Mittelsmänner auf Video aufzeichnen und sie später verhaften und anklagen. Andere Programme sollen die Verteilungsketten unterbrechen. In den Dörfern am Rande des Dschungels überzeugen WildAid-Berater Wilderer von einer sinnvolleren Karriere in der Landwirtschaft. Natürlich wird auch Insiderwissen über die illegalen Strukturen gut bezahlt. Und man versucht per Aufklärung die Nachfrage in Asien zu drücken: mit Megaprominenten wie Hollywoodstar Jackie Chan, der sich in einem TV-Spot gegen die pseudomedizinische Nutzung bedrohter Arten ausspricht.

Mag er seine Agententricks auf der Straße erworben haben, Peter Knights’ Ausbildung ist konservativ. Er kommt von der London School of Economics und denkt wie alle freien Manager. „Wir finden jede Schwachstelle im Handelskreislauf heraus und greifen sie an“, sagt Knights.

Als in Bokor die Nacht anbricht, kehren wir zurück zum Außenposten von WildAid. Wie überall im ländlichen Kambodscha, wo in buchstäblich jeder Hütte ein Liter Benzin die einzige Glühbirne und einen Fernsehapparat antreibt, röhrt draußen ein Minigenerator, der für die Beleuchtung unserer Kochstelle sorgt. Die Ranger reinigen ihre Waffen. Bowman erzählt, dass die Wilderer nicht selten der Militärpolizei angehören. Oder es sind Eingeborene, die Aloe sammeln, ein Holz, dessen Duft Parfum- und Weihrauchhersteller sehr schätzen. Oder sie suchen Gelben Wein, den Wirkstoff einer Bleichcreme, die manche Asiaten benutzen, um ihre Haut aufzuhellen. Derlei Ernten wären an sich nicht so schlimm, würden die Wilderer nicht kurzerhand den ganzen Baum fällen, um an die Weinranken an seiner Spitze zu gelangen. Und würden sie nicht jedes beliebige Tier schießen, das ihnen vor die Flinte läuft.

Einige Wilderer besitzen Kettensägen. Der Neupreis liegt bei achthundert Dollar, ein Vermögen in Kambodscha, wo der Monatslohn sich um die zwölf Dollar bewegt. Entsprechend bemerkenswert ist die Beute, wenn ein Wilderer mit Kettensäge gestellt wird. Andererseits arbeiten diese Wilderer häufig für den organisierten Schwarzmarkt und sind bewaffnet. Alle Ranger in unserem WildAid-Trupp haben bewaffnete Auseinandersetzungen hinter sich. Nur wenige Monate vor meiner Ankunft wurde eine Patrouille von einer Granate gestoppt, die plötzlich aus dem Gebüsch segelte. Sieben der Ranger trugen Splitterverletzungen davon.

Spät in der Nacht erläutert Bowman den Plan für den kommenden Tag: Wir werden ans Nordende des Bokornationalparks vorstoßen, wo WildAid-Informanten einen starken Anstieg der Plünderungen ausgemacht haben. Bald lechzt der Generator nach den letzten Tropfen Sprit. Die Geräusche des Dschungels dringen durch die Fenster des Kasinos, als wir unsere Nachtlager aufsuchen. Stirnrunzelnd fragt Bowman, ob ich weiterhin vorhabe, mein rotes Jagdhemd zu tragen. „Ziehen Sie dies an“, knurrt er und wirft mir ein schwarzes Hemd zu. „So machen sie sich ja zum Ziel für jeden Anfänger.“

Zehn kambodschanische Ranger quetschen sich am folgenden Morgen in den Minipickup. Bowman, Knights und ich folgen in einem weiteren Fahrzeug. Vor uns liegen drei Stunden Fahrt zu einem Dorf namens Pichnil, einem weiteren Außenposten. Normalerweise schickt WildAid fünf Leute zur Dreitageschicht in den Dschungel, aber für diese Mission ist die Mannschaft verdoppelt worden. Nördlich von uns soll sich ein ehemaliger Kommandant der Roten Khmer aufhalten, der für die Morde an drei westlichen Touristen verantwortlich gemacht wird, im Süden ein nicht geräumtes Minenfeld. Im Gänsemarsch betreten wir den Dschungel auf einem alten Holzfällerpfad. Ek Phyrum, der kambodschanische Anführer, ordert jeweils fünf Mann zur Sicherung an die Spitze und an den Schluss der Truppe.

Im Dschungel ist es wichtig, lautlos zu kommunizieren. Bowman hat Ek und seinen Leuten Handzeichen beigebracht. Eine geballte Faust heißt: „Halt!“ Die Hand vor dem Mund und der Zeigefinger meinen: „Still, da ist was, versteckt euch!“ Lautlos und dunkel gekleidet kann die ganze Mannschaft in Sekundenschnelle mit dem Dschungel verschmelzen. Um das Gefühl für die Zeit zu bewahren, machen wir jede Stunde fünf Minuten Trinkpause. An einer Wegbiegung gibt Ek plötzlich das Alarmsignal. Sofort verschwinden wir im Gebüsch. Und hören Sekunden später ein Motorrad. Es kommt näher und die Ranger absolvieren ihr Programm: Die Waffen im Anschlag, stoppen sie den Wilderer und seinen Beifahrer. Bowman strahlt vor Zufriedenheit, und sein Kamm schwillt, als sie den Tatort sichern, die Waffen checken und den beiden Wilderern schließlich keinen Weg mehr offenlassen, als Abstand von ihrer Ausrüstung nehmen.

Beide sind Militärpolizisten. Der Fahrer trägt ein Baseballcap mit der Aufschrift „Camel Trophy Adventure Wear“ und beteuert noch, er sei kein Wilderer, als die Ranger in einer Satteltasche einen in Kambodscha geschützten Brüllhirsch finden. Die beiden werden vorläufig festgenommen. Sein Mittelsmann auf dem Schwarzmarkt, protestiert der Ältere, zahle ihm einen guten Preis für den Hirsch, der dann an ein Spezialitätenrestaurant geliefert werde: sechstausend Riel. Das kann nur ein Übersetzungsfehler sein, denke ich, und bitte den Mann, den Preis zu wiederholen. „Nein, nein“, sagt er, „sechstausend Riel.“ In Phnom Penh habe ich viertausend Riel gegen einen US-Dollar getauscht.

Der Polizist und sein Kumpel erhalten eine drastische Lektion über die Notwendigkeit des Artenschutzes. Jeder Wilderer bekommt sie zu hören. Anders als bei uns im Westen, wo die Haltung dominiert, Gott habe die Natur geschaffen, um sie dem Menschen untertan zu machen, kann im buddhistischen Kambodscha der Naturschutz auf kulturellen Stolz und religiöse Geschichte bauen. Das hilft, die Lektion zu schlucken. Am Ende scheinen die Wilderer ehrlich betroffen und beklagen nur an einem Punkt, wie beschwerlich es doch gewesen sei, den Hirsch zu fangen. Die Ranger verdonnern beide. Das Moped des Offiziers wird für zehn Tage beschlagnahmt – eine verheerende Strafe. Der Mann senkt den Kopf, während die Ranger ihm eine eidesstattliche Erklärung vorlegen, die besagt, dass er nie wieder wildern wird. Der Offizier bestätigt sie mit seinem Fingerabdruck.

Gute zehn Kilometer kommen wir an diesem ersten Tag im Dschungel voran und machen dabei ein Dutzend solcher Fänge. Mehr als einmal schnappen die Ranger einen einzelnen Wilderer und wenige Minuten später stellt sich der Komplize. Eine Zeit lang müssen sie sogar anstehen und warten, bis sie den Fingerabdruck loswerden. Während Ek die Prozedur ausführt, hält sich Bowman im Hintergrund und beobachtet dessen Vorgehen. Gelegentlich macht er sich Notizen und kritisiert anschließend den laxen Umgang der Ranger mit ihren Waffen. Mehrere haben die Angewohnheit, den Zeigefinger in die Mündung ihrer Kalaschnikow zu stöpseln. Oder sprechen während der Pirsch einfach zu laut. Und natürlich kann man auch nicht während der Mittagspause nackt im Fluss baden: Wilderer könnten einen übertölpeln und erschießen, warnt Bowman. Aber nach Tagesmärschen in brütender Hitze und Nächten in verschwitzten Schlafsäcken fällt die Entscheidung zwischen einer Erfrischung im Fluss und einer Kugel im Kopf nicht so leicht, wie es scheinen mag.

Bei Sonnenuntergang überqueren wir tief im Dschungel den Koh-Sla-Fluss und steuern einen steilen Pfad an, als ein Wilderer, die Kettensäge wie eine Waffe über der Schulter, auf den gleichen Hügel zuhält wie wir. Er sieht uns und verschwindet mit einem Satz im Busch. Ek ordnet Deckung an, drei Ranger lassen ihre Sachen fallen und sprinten ihm nach. Tief geduckt harren wir aus, kein Knistern, kein Rascheln entgeht uns. Nach einigen Minuten beruhigt sich mein fliegender Atem, dann befällt mich eine Art kulturelles Déjà-vu: Gerade sechzig Kilometer von Vietnam entfernt stecke ich jetzt in der Klemme. Mit ein paar westlichen „Beratern“ auf der Seite der „Guten“, die Jagd auf das „Böse“ machen. Was für ein Irrsinn.

Zehn gespannte Minuten später sind die Ranger zurück. Ohne den Wilderer, aber mit reicher Beute. Der Mann konnte nur entkommen, weil er sich von seiner schwersten Last befreite, der teuren Kettensäge, die die Ranger jetzt stolz vorführen. Peter Knights steht das Vergnügen im Gesicht geschrieben. Angesichts der großen Entfernung beschließt Ek, das Beweisstück nicht zurück ins Hauptquartier zu bringen, wo siebzig Sägen wie ein Thronschatz bewacht werden. Ek zieht ein Verfahren vor, das Bowman Kettensägenmassaker nennt. Ein schwerer, flacher Stein ist bald gefunden und dann ist jeder Ranger einmal dran. Ein Ritual unter Glaubensbrüdern. Die Reste wandern auf einen Haufen Holz und gehen sofort in Flammen auf.

Bei Sonnenuntergang suchen wir einen Platz für unsere Hängematten, zum Schutz bilden die bewaffneten Ranger einen Kreis um uns. Still und verzweifelt hoffen wir, dass endlich der verdammte Schweiß verdampft, der sich wie eine Lackschicht auf die Haut legt. Wir schlafen nur in Schüben. Nicht aus Angst vor den modernen Räubern des Dschungels, sondern vor den alten, vor den Kobras, Tigern, Malaienbären und Pythons. Tagsüber war es spannend, ihre Fährten und Spuren zu entdecken. Aber nachts, wenn jedes seltsame Geräusch existenzielle Folgen haben kann, dann überwiegt die bedrohliche Seite der Wildnis. Haben diese Tiere auch nur ein Maul voll Dankbarkeit für all die guten Taten, die in ihrem Interesse geschehen?

Es war unumgänglich, dass sich der Umweltschutz analog zur Wirtschaft global ausdehnt, entlang der gleichen Routen, der legalen und illegalen, denen der Handel folgt. Unumgänglich auch, dass dabei seltsame Bettgenossen Allianzen bilden. Kambodscha zählte zu den gröbsten Umweltsündern und plünderte den Dschungel mit Kahlschlägen, als die wichtigsten Geldgeber des Landes – vor allem Weltbank, Internationaler Währungsfonds und die Asiatische Bank für Entwicklung – 1999 jede weitere Zahlung der 1,5 Milliarden Dollar Hilfe von Fortschritten beim Umweltschutz abhängig machten. Zum Abkommen gehörte die Berufung der Organisation „Global Witness“ zu unabhängigen Beobachtern. Im vorigen Jahr konstatierte der Bericht von „Global Witness“, dass Kambodschas ohnehin verwüsteter Dschungel weiterhin von Plünderern heimgesucht wird. Als Eva Galabru, eine leitende Angestellte der Organisation in Phnom Penh, eines Tages im Juni aus ihrem Büro kam, stoppte vor ihr ein Auto mit quietschenden Reifen. Mehrere maskierte Männer sprangen heraus und schlugen sie zusammen. Die Männer entkamen, ohne ihr Geld, ihre Papiere anzufassen. Am Tag darauf erhielt sie eine knappe E-Mail: „Hau ab!“

Kambodschas Politik funktioniert ähnlich wie die afghanische. Lokale Kriegsfürsten können den Missbrauch ihrer Macht rücksichtslos ausdehnen. Auf der anderen Seite haben (internationale) NGOs (Nichtregierungsorganisationen) längst festgestellt, dass sie fast wie nationale Machtfaktoren handeln können. Weil sie die Bundesregierung nachhaltig stabilisieren, herrscht nach Aussage eines Botschaftsangehörigen in Kambodscha eine „NGO-Regierung“. Das wollte ich bei meiner Rückkehr nach Phnom Penh genau anschauen.

Suwanna Gauntletts Weg, die mobile Einheit von WildAid einzurichten, gilt als Lehrstück. Um die Händler und ihre Mittelsmänner zu stellen, werden Kriminalpolizisten, Polizisten und Ranger verschiedener Regierungsbereiche bei Razzien zusammengezogen. Zwei Tage verbringen wir auf abgelegenen Farmen, wo gefesselte Tiere unter Strohballen versteckt werden, und durchsuchen Restaurants in der Stadt, wo exotische Lebewesen verschnürt und in Plastik eingetütet in engen Schränken verstaut sind. Wie die Parkranger werden die Männer von der Regierung bezahlt. Zuzahlungen, Krankenversicherung, Verpflegung, Uniformen und Erfolgsprämien kommen von WildAid. Gauntletts Einfluss nimmt ständig zu. Der Bürgermeister der Hauptstadt, der zu ihren Vertrauten zählt, hat jeden Verzehr bedrohter Arten in Phnom Penh verboten. Einer der Strippenzieher des Landes, Senator Nhim Vanda, präsentiert jedoch einen Privatzoo als Symbol seiner Macht. Suwanna Gauntlett und ihre mobile Einheit zuckten nicht mit der Wimper, zwei seiner neuen Tiger mitsamt dem funkelnagelneuen Transporter zu beschlagnahmen.

Am Morgen als ich aus dem Urwald komme, liest mich die mobile Einheit mit einem Konvoi aus drei Fahrzeugen auf. Mit frischen Durchsuchungsbefehlen ausgestattet, jagen sieben Polizisten, vier Umweltofficer und Suwanna Gauntlett ins nächste Dorf, Ream. „Sobald unsere Fahrzeuge irgendwo gesichtet werden“, erläutert sie, „schlagen die Händler in der ganzen Gegend mit ihren Handys Alarm.“ Das Restaurant in Ream präsentiert am Eingang ein großes Aquarium, randvoll mit einem fleischigen Knäuel eingelegter Schlangen. Reifen quietschen, die Polizisten schwärmen aus. Mit erhobenen Waffen stürmen sie den Laden, die Umweltspezialisten laufen in den hinteren Bereich, in Vorratsräume und leere Schlafzimmer.

Die Wirtin schreit die bewaffneten Polizisten an, ihre fünf Kellnerinnen, alle sehr junge Mädchen, rennen wild durcheinander, um uns abzulenken. Auf den Schrei eines Officers laufen alle in den Hinterhof, wo mehrere langschwänzige Makaken in kleine Käfige gesperrt sind. In einem anderen wir finden Schildkröten, groß wie Autoreifen, und einen Berg transparenter, gelber Plastiktüten, in jeder eine Kobra. Eine zischt und versucht sich aufzurichten und schlägt dabei in ihrer Tüte immer wieder wie wahnsinnig auf den Holzboden. Eine andere hat sich in klassischer Position aufgestellt. Zischen kann sie nicht, denn die alte Frau hat zur üblichen Vorsichtsmaßnahme gegriffen und der Schlange das Maul zugenäht. Als wir die Tiere ins Auto des Veterinärs laden, keift sie empört, dass die Polizisten auch die Ketten mitnehmen, die sie gekauft hat, um die Affen zu fesseln. Widerwillig bestätigt sie die übliche Erklärung mit ihrem Daumenabdruck. Wird sie nochmals erwischt, drohen Geldstrafe oder Gefängnis.

Es wird ein nächstes Mal geben, so viel ist sicher. Wie sollte sie sonst Geld verdienen? Ein Übersetzer erklärt mir das ganze „Delikatessen“-Angebot ihres Ladens, wo ein Arbeiter eine wirklich scharfe Nacht damit verbringen kann, all seine virilen Bedürfnisse zu befriedigen: Die „Kellnerinnen“ sind dreizehn-, vierzehnjährige Prostituierte, die an einem der Tische das Essen servieren. Dann folgt ein Potenz steigerndes Dessert, beispielsweise eine lebende Kobra, die die Männer an einem anderen Tisch zu rasender Wut provozieren. Nach ihrem Glauben setzt völlige Rage mehr der wirksamen Sexualhormone frei. Die Schlange wird enthauptet, der Mann lässt ihr Blut in ein Whiskeyglas tropfen, leert es in einem Zug und wählt schließlich eines der Mädchen zur Begleitung ins enge Hinterzimmer aus. Schweigend fahren wir davon. Ein paar Schildkröten konnten wir retten – die Mädchen lassen wir zurück. „In Kambodscha tut man, was man tun kann“, meint Gauntlett achselzuckend.

Fünf Stunden bin ich am kommenden Tag mit der mobilen Einheit in Dörfern an der vietnamesischen Grenze unterwegs. Unter anderen durchsuchen wir das Haus eines der reichsten Männer der Region, ein zweistöckiges Gebäude mit eingefasstem Hof und zwei Generatoren. Als wir ankommen, ist er über alle Berge. Seine Frau hat er zurückgelassen. Die aber bietet einen Deal an: Für eine geringe Strafe verrät sie die Adresse ihrer Konkurrentin ein paar Dörfer weiter.

Unser Konvoi bewegt sich in die abgelegene Kompong-Cham-Provinz. Staunend versammeln sich die Leute am Straßenrand, Autos sind hier eine seltene Erscheinung. In dieser Gegend fahren die Wohlhabenden alte, verbeulte Schwinnfahrräder. Der Kerl, hinter dem wir her sind, der mächtigste Mann im Dorf, wohnt in einer Hütte. Seinen Reichtum demonstriert er auf eine in Kambodscha übliche Art, die allerdings auch Donald Trump verstehen würde: Türen gibt es nicht, aber einen riesigen Kleiderschrank, durch dessen Glastüren beneidenswerte Stapel von T-Shirts, ein Fernseher, ein Ghettoblaster und Schnapsflaschen zu sehen sind. Wie der letzte Händler hat sich auch der Donald von Kompong Cham aus dem Staub gemacht und überlässt seiner Frau die Cops.

In einem Schuppen finden wir reichliche Wildbeute. Unter anderem sechs Pangolins, Ameisenfresser, die sich aufrollen wie geschuppte kleine Reifen, wenn sie sich aufregen. So passen sie dann in die gleichen gelben Plastiktüten, in denen wir zuvor die Kobras gefunden hatten. Wir befreien die Pangolins und erfrischen sie mit eimerweise kühlem Wasser. Der Officer lässt die Frau zur Standardlektion vor dem Haus Platz nehmen. Die meisten der Dorfbewohner, etwa siebzig Männer, Frauen und überwiegend nackte Kinder haben sich versammelt, als sie mit ihrem Daumenabdruck die Erklärung unterzeichnen muss: Beim nächsten Mal droht Strafe. Geradezu ehrfürchtig verfolgen die Leute die ganze Prozedur, die ihnen höchst fremd, wenn nicht bedrohlich erscheinen muss.

Immer wieder betrachten die Frau und die anderen Dorfbewohner den gestickten Schriftzug „WildAid“ auf der Hemdtasche des Officers. Ein exotisches Wort in einem bizarren Alphabet, für sie sicher so unverständlich wie Khmer für mich. Während der Durchsuchungsaktionen fällt mir öfter dieser rätselhafte Gesichtsausdruck auf, und ich frage mich, ob die Generation von Amerikanern vor mir nicht den gleichen Ausdruck hervorrief, als sie über die Gegend kamen. Sicher, die Folgen der Interventionen unterscheiden sich erheblich. Es ist etwas anderes, ob man dir das Moped für zehn Tage abnimmt oder mit Napalm kommt. Wenn aber eine Frau etwa für den Besitz einer Schildkröte bestraft wird, nicht jedoch für Kinderprostitution, in solchen Momenten scheint sich Geschichte in absolut lächerlicher Weise zu wiederholen.

Auf der anderen Seite sind die kambodschanischen WildAid-Ranger der Sache schon aus buddhistischen Glaubensgründen und Nationalstolz verbunden. Elefant, Tiger, Schlange, Affe und Malaienbär haben Kultcharakter, sie gelten in Kambodscha als magisch und göttlich. Derzeit herrscht im Land der freudige Geist einer Wiedergeburt. In diesem Sinn kommt auch die Lektion, die die Wilderer sich anhören müssen, beim Volk an. Beginnt nicht jede Schöpfungsgeschichte mit den Tieren? „Es sind die Tiere meiner Vorfahren“, sagt ein Ranger, der Englisch spricht, und beendet seinen Satz, als bedürfe es keines weiteren Motivs, den Dschungel zu retten.

Als die Leute immer näher an den Tisch kommen, schaut die Frau vom Schriftzug auf der Uniform auf. In ihrem Gesicht suche ich nach einer Spur von Erkenntnis oder Offenbarung, ob hier neuerlich eine „Mission“ des Westens stattfindet oder eine neue kambodschanische Ordnung entsteht. Aber das ist schwer zu sehen. Schnell fällt die Dämmerung über die Szene, und in ganz Kambodscha beginnen die Generatoren zu dröhnen.

Copyright: New York Times Aus dem Amerikanischen: Petra Groll JACK HITT, 45, Reporter und Buchautor, schreibt für verschiedene US-amerikanische Magazine